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Samstag
19.05.2012

Das hatten sich die 5000 unter einem GAV arbeitenden SRG-Mitarbeiter wohl anders gedacht, als der stets so konziliante, überfreundliche und prononciert höfliche, links und linker sich gebärdende Roger de Weck SRG-Generaldirektor wurde: Dass sie arbeitsvertragsmässig bald schlechter denn je dastehen würden, mit Aussichten, die gleich Null sind, nicht nur ausgebremst von der Chefetage, sondern regelrecht ausgetrickst.

Knappe eineinhalb Stunden nachdem sich die SRG-Spitze am Dienstag von den Vertretern des Schweizer Syndikats Medienschaffender SSM am SRG-Hauptsitz in Bern nach ganztägigen Verhandlungen ergebnislos getrennt hatte, gingen fünf dicht beschriebene Seiten, druckreif in allen vier Landessprachen, per Mausklick an alle SRG-Mitarbeiter. «Das war vor Verhandlungsbeginn bereits fixfertig formuliert», sagte Stephan Ruppen, Zentralsekretär und der Leiter der SSM-Verhandlungsdelegation, am Mittwoch gegenüber dem Klein Report. «Im Nebenraum sass eine ganze SRG-Taskforce, und es war geplant, dass die Verhandlungen scheitern würden.»

Damit droht erstmals in der Geschichte der SRG ein vertragsloser Zustand, zeitlich wäre das ab 2013 der Fall. «Die SRG-Mitarbeiter sollen immer mehr arbeiten und immer weniger verdienen», bringt es Verhandlungsleiter Ruppen auf den Punkt, «das geht gegen Treu und Glauben. In den letzten 20 Jahren habe ich vieles erlebt, auch einige SRG-Generaldirektoren, aber so etwas noch nie.»

Ironie des Schicksals, dass die SRG-SSM-Verhandlungen ausgerechnet an dem Tag scheiterten, an dem in Neuenburg das 75-Jahr-Jubiläum des Gesamtarbeitsvertrags in Anwesenheit von Bundesrat Johann Schneider-Ammann gefeiert wurde. «Ein Bundesrat», erinnerte Verhandlungsteilnehmer Andreas Künzi, «verdient deutlich weniger als ein SRG-Generaldirektor.»

Überhaupt: Während man darüber streiten darf, ob SRG-Journalisten besser gestellt sein sollen als die übrigen Medien, stört sich die Mediengewerkschaft vor allem daran, dass das technische SRG-Personal deutlich schlechter gestellt ist als etwa technisches Zeitungspersonal, und am allermeisten daran, dass die sehr gut bezahlten Kaderstellen bei der SRG förmlich explodieren.

«SRF-Direktor Ruedi Matter hatte an einer Personalversammlung versprochen, dass der Zusammenschluss von Radio und Fernsehen einen Abbau von Kaderstellen zur Folge haben würde», sagte Künzi, «das Gegenteil ist eingetroffen, heute gibt es deutlich mehr Kaderleute mit einem Durchschnittslohn von 172 000 Franken», sagte er gegenüber dem Klein Report.

«Diesen stolzen Löhnen steht eine Streichkonzert bei den Zulagen für Überstunden und Überzeit vor allem beim technischen Personal gegenüber», klagte Verhandlungsteilnehmer und SRG-Mitarbeiter Ernst Gräub: «Besonders Mitarbeiter, welche unregelmässig an Wochenenden und in der Nacht arbeiten, müssen, wenn es nach dem Willen der SRG geht, mit massiven Verlusten rechnen. Es wurde uns in Bern ein Abbaukatalog unterbreitet, wie es ihn in der jahrzehntelangen Geschichte der GAV-Verhandlungen der SRG mit dem SSM noch nie gegeben hatte», enervierte er sich im Gespräch mit dem Klein Report.

«Das SSM hat sehr moderate Forderungen eingebracht, fast ausschliesslich zur Verlässlichkeit im Lohnsystem und zur Transparenz», resümierte Andreas Künzi den erfolglosen Verhandlungstag, «die SRG hingegen will massiv Schutzbestimmungen und Entschädigungen abbauen und damit sparen. Zudem will sie uns, dem Sozialpartner SSM, in vielen Bereichen die Verhandlungskompetenz entziehen.»

Verhandlungsteilnehmer Ruedi Bruderer, Redaktor beim romanischen Fernsehen, sagte es deutlicher: «In den letzten zehn Jahren hat sich die SRG von einem überdurchschnittlichen zu einem durchschnittlichen Arbeitgeber entwickelt und ist jetzt daran, ein unterdurchschnittlicher zu werden.»

Welch ein Gegensatz zum SRG-Generaldirektor, der bei jeder Gelegenheit betont, was für eine tolle Arbeitgeberin die SRG sei. De Weck hat sich übrigens sowohl nach einer informellen als auch nach einer formellen Anfrage einem Gespräch mit der Mediengewerkschaft verweigert. Stattdessen versteckt er sich hinter Worthülsen, welche er mit Vorliebe kultiviert. «Wir verhandeln im Wissen, dass es zweier Tänzer bedarf, um einen Tango zu tanzen.»

Diese brüske Art stösst dem SSM umso saurer auf, als die SRG selbst 2011, in einem Krisenjahr, eines ihrer besten Ergebnisse präsentierte, mit 14,4 Millionen mehr Werbeeinnahmen, 6,2 Millionen mehr Empfangsgebühren und einem Gewinn von 25,75 Millionen Franken.

Wohl nicht zuletzt diese Zahlen bewogen 2500 von 5000 unter einem GAV arbeitende SRG-Mitarbeiter in den letzten beiden Wochen, eine Petition an den SRG-Verwaltungsrat zu unterschreiben, welche dem Klein Report vorliegt und die mit der fetten Überschrift «Die SRG ist kein überdurchschnittlicher Arbeitgeber mehr» einen Klagekatalog über drei Seiten eröffnet.

«Einst war die SRG als Arbeitgeberin ein Leuchtturm», blickt Verhandlungsleiter Stephan Ruppen wehmütig zurück, «aber diese Zeiten sind schon lange vorbei.»

Mehr zu Roger de Wecks Karriere und bisherigen Aussagen:

18.5.2010; Roger de Weck: «Ich bin eigentlich ein parteiloser Wechselwähler»
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23.11.2009; Krisenbewältigung mit Roger de Weck