In welchem Zustand befindet sich der Journalismus in Deutschland? An der Jahrestagung des Netzwerks Recherche in Hamburg diskutierten Journalisten über Moral, Haltung - und Defizite. Von der Veranstaltung für den Klein Report berichtet Roger Blum vor Ort.
Die Journalistenrunde in Hamburg, moderiert durch Tom Schimmeck, übte zunächst Kritik an den Medienunternehmen. «Journalisten sind an ihren Produkten interessiert, Verleger sind das zum Teil nicht mehr richtig», sagte der Investigativjournalist Hans Leyendecker von der «Süddeutschen Zeitung» und ergänzte: «Es gibt zu viele graue Flanellmenschen in den Medienunternehmen.» Giovanni di Lorenzo, Chefredaktor der «Zeit», bestätigte dies. Es gebe bei Zeitungen, die deutlich an Auflage verlieren, aber immer noch Traum-Renditen erzielten. Damit dies möglich sei, würden, so di Lorenzo, «skandalöse Sparmassnahmen» durchgezogen. Auch Georg Mascolo, Chefredaktor des «Spiegels», bestätigte: Die erste Verantwortung gemäss dem Pressefreiheitsartikel des Grundgesetzes sei auch für die Verleger nicht der private Profit, sondern die Publizistik.
Die Runde übte ebenfalls Selbstkritik. Es gebe zu viel Gleichklang in den Medien, sagte di Lorenzo. Schon wegen der politischen Hygiene sollte man hin und wieder aus dem Mainstream ausscheren, allerdings nicht aus blossem Widerspruchsprinzip wie bei Roger Köppels «Weltwoche». Di Lorenzo beanstandete zudem die Beschreibung von Menschen: «Wir geben anonymen Zeugen zu oft die Gelegenheit, abzukotzen über andere Menschen.» Er ergänzte: «Das Medienbild stimmt vielfach nicht mit dem realen Bild überein. Die grössten Arschlöcher der Medienberichterstattung sind oft in Wirklichkeit sehr nette Menschen. Heiligenfiguren der Medien sind in der Realität oft ungemein eitel.» Für ihn ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Medien die Lebenswirklichkeit der Menschen abbilden sollten. Mascolo wiederum plädierte für eine klare Haltung. Nur durch sie seien die Medien glaubwürdig. Dazu gehöre auch, dass sie wenn nötig gegen die vorherrschende Überzeugung der Menschen antreten.
Umgekehrt kam auch zum Ausdruck, dass der Journalismus besser geworden sei. Früher hätten die Rechercheure oft fast unlesbare Texte geschrieben, sagte Leyendecker. Heute würden die Faktenmenschen mit den Augenmenschen zusammengebracht, und es würde besser geschrieben. Man erzähle eine Geschichte anders, und das sei ein Gewinn.