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Dienstag
20.11.2012

Alles schwärmt von Facebook und Twitter. Doch welche Rolle spielen die Social Media im politischen Bereich? Tragen sie zur Demokratisierung der Kommunikation bei? Am Mediensymposium in Zürich waren die Belege eher ernüchternd. Roger Blum berichtet für den Klein Report.

Das Mediensymposium führt alle zwei Jahre Medienforscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Zürich, um ein Thema vertieft zu erörtern, diesmal die Frage, ob die Social Media eine Demokratisierung bewirken.

Den ernüchternden Ton setzte gleich zu Beginn Professor Kurt Imhof von der Universität Zürich und Hauptorganisator des Mediensymposiums. Es sei ein Mythos, wenn man glaube, dass die Social Media die Defizite der klassischen Medien ausgleichen würden. Ein Demokratisierungspotenzial hätten sie nur im Zusammenspiel mit den klassischen Medien. In differenzierten Gesellschaften müssten die verschiedenen Interessen in einer Medienarena zusammenfliessen, und dies könnten die Social Media nicht leisten, sagte Imhof. Die Blogs nähmen massiv ab, auch die Watchblogs, die die Medien beobachten. Aber Vieles wisse man noch nicht, deshalb sei Forschung nötig.

Welches politische Potenzial Foren, Chats und Blogs im Internet bergen, untersuchten Professor Hans-Bernd Brosius und Alexander Haas von der Universität München. Nur zehn Prozent der Bevölkerung nutzten sie. Die Nutzer seien jung, gebildet und gleichzeitig Zeitungsleser, sie seien eher bereit als Nichtnutzer, zu Versammlungen und Demonstrationen zu gehen.

Professor Gerhard Vowe und Uli Bernhard von der Universität Düsseldorf wollten wissen, ob die Social Media eher zur Information oder eher zur Diskussion genutzt werden. Sie stellten fest, dass bei Kommunikationsereignissen wie der Volksabstimmung über «Stuttgart 21» oder den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen die politische Diskussion vorwiegend im persönlichen Gespräch geführt wurde, kaum über Facebook oder Twitter. Die Ausnahme seien die Jungen und die politisch Interessierten. Aber auch die Jungen, die in der Schweiz zu 97 Prozent online sind, fragen laut Ruth Kunz von der Universität Zürich letztlich wenig Nachrichten nach, und wenn, dann im Fernsehen und in Gratiszeitungen, nicht im Netz.

Linda Rath-Wiggins von der Universität Bonn ging der Frage nach, inwiefern Wahlwerbespots auf YouTube Anschlusskommunikation auslösen. Die Onlinemedien verschaffen den Parteien freiere Rahmenbedingungen als das regulierte Fernsehen, und so entstand auf YouTube 2009 bei der Europawahl und der Bundestagswahl in Deutschland eine Clip-Öffentlichkeit mit durchaus partizipativem Charakter, wie Linda Rath ausführte.

Am meisten Kommentare erhielten die Wahlwerbespots der FDP, wahrscheinlich, weil die FDP Negative Campaigning betrieb und sehr aggressiv auf die politischen Gegner losging. Am zweithäufigsten diskutiert wurden die Spots der SPD und der Grünen, die der CSU hingegen überhaupt nicht, weil diese Partei überhaupt keine Kommentare erlaubte.

Till Keyling, Anna Kümpel und Professor Hans-Bernd Brosius von der Universität München erforschten die Rolle des Humors in Videos über deutsche Politiker auf YouTube. In fast einem Drittel der Videos, in denen Politiker vorkommen, spielt Humor eine Rolle. In der Regel wurden diese Videos rund 30 000 Mal angeklickt, ein Video über den deutschen Aussenminister Guido Westerwelle hingegen mehr als drei Millionen Mal.

Professorin Uta Russmann von der Fachhochschule Wien interessierte sich für die Diskursqualität in den Social Media: Gehen Parteien und Bürger verständigungsorientiert miteinander um? Sie analysierte die Facebook-Seiten von Wiener Politikern der SPÖ, der ÖVP, der Grünen und der FPÖ vor den Gemeinderatswahlen 2009. H.C. Strache von der FPÖ zog 65 000 Fans an, die anderen Politiker nur zwischen 1 500 und 2 000. Die Kommentare auf deren Seiten hatten fast zu 50 Prozent einen Politikbezug, jene zur FPÖ bloss zu 20 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Wortmeldungen bringe keinen Mehrwert für den politischen Diskurs, hielt Uta Russmann fest, aber es gebe durchaus verständigungsorientierte Kommunikation.

Ein anderes Instrument des Publikums, um sich einzuschalten, beleuchtete Professorin Marlis Prinzing von der Macromedia Hochschule in Köln: Shitstorms, diese raschen, massenhaften, zumeist negativ ausgerichteten Kommentarstürme in den Social Media. Sie schlug fünf Modelle zur Einordnung von Shitstorms vor. Von den 53 Shitstorms, die sie aus den Jahren 2010 bis 2012 unter die Lupe nahm, gehörte die grösste Gruppe zum Correctness-Modell (Protest gegen ein Verhalten, das nicht als anständig empfunden wird). Insbesondere Shitstorms gegen Politiker fanden sich im Gegenangriff-Modell, Shitstorms gegen Unternehmen besonders häufig im Unzufriedenheits-Modell.

Paula Nitschke und Henriette Schade von der Universität Greifswald klärten ab, wie aktiv politische Organisationen in den Bereichen Gesundheit und Umwelt im Web 2.0 sind. Ihr Befund: Die älteren Organisationen sind deutlich aktiver als die jüngeren. 40 Prozent verfügen über ein eigenes Facebook-Profil.

Manuel Wendelin von der Universität München interessierte sich für die Publikumsbeobachtung durch politische Parteien mit Hilfe der Social Media. Er fand heraus, dass in Deutschland die CDU/CSU ein aktives Monitoring betreibt, während die Grünen und die Piraten in dieser Beziehung erstaunlicherweise ziemlich passiv sind und die SPD sowie die Linke gar nicht verstanden hätten, wonach der Forscher fragte.

Professor Otfried Jarren und Christian Wassmer von der Universität Zürich beschäftigten sich mit der Regelstruktur von Facebook, Twitter, YouTube und Wikipedia und kamen zum Schluss, dass einerseits die Regeln nicht genügen, anderseits die Onlinekompetenz der Nutzer verstärkt werden müsse. Anzustreben sei eine regulierte Selbstregulierung im Sinne von Governance.

Für das breite Publikum haben die Social Media zumindest in Europa nur eine marginale Bedeutung. In den USA spielen sie eine deutlich grössere Rolle: 40 Prozent der Bevölkerung informieren sich dort fast nur über Facebook. SRG-Generaldirektor Roger de Weck beschrieb in einem Gastreferat am Mediensymposium die Unternehmen, die hinter den Social Media stehen, vor allem Google, YouTube und Facebook, als Giganten, neben denen Fernsehanbieter wie ARD, ZDF oder SRG wie Zwerge aussehen. Ganz nebenbei enthüllte Professor Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur: «In der Schweizer Armee ist Facebook verboten.»

Das Mediensymposium wurde von Kurt Imhof, Otfried Jarren, Heinz Bonfadelli, Vinzenz Wyss und Roger Blum veranstaltet, die jeweils einen Block im Programm moderierten.

Am 28.10.2012: Jahrbuch «Qualität der Medien 2012» kritisiert dominante Marktstellung der Tamedia und Verleger orten mangelnde Qualität beim Jahrbuch «Qualität der Medien»