Schon vor 100 Jahren ist es bekämpft worden, das «wilde Treiben gewisser Reklamehelden». Gegen «den barbarischen Amerikanismus» lief die Vereinigung für Heimatschutz 1906 in Zürich Sturm und wetterte gegen den schwindenden «Sinn für Zucht und Anstand in geschäftlichen Dingen».
Und heute? «Reklame, lateinisch für reclamare, gleich Schreien.» Mit diesen Worten begann Stadträtin Kathrin Martelli am Montagabend ihre Rede an der Buchvernissage «Reklame im Stadtbild». «Beide Wörter haben die gleichen Wurzeln», fügte die Vorsteherin des Hochbaudepartements an. Da war bei einigen Gästen im historischen Haus zum Rech mit seinem baugeschichtlichen Archiv das erste Mal der «Laden unten». Die FDP-Politikerin erwähnte die an Werbung überbordenden Fernsehsender und Gratiszeitungen. Bezugnehmend auf den öffentlichen Raum und die auf ihn zielenden Wünsche und Forderungen der Werbewirtschaft mit den Aussenwerbefirmen, dem Gewerbe, der Architektur, mahnte sie: «Mit diesem Gut müssen wir sorgfältig umgehen.»
Erst als Kathrin Martelli bemerkte, dass gute Reklame aber auch Spannung für eine Stadt bringen kann, war ihr Nachredner Bernard Liechti, Leiter der Abteilung Reklamebewilligungen, etwas erleichtert, wie er gegenüber dem Klein Report im Anschluss der Veranstaltung schmunzelnd bemerkte. Martelli selbst, machte im Gespräch mit dem Klein Report dann zwar auch nicht den Anschein, die Werbung generell zu verteufeln.
Dass die Stadt Zürich die Aussenwerbung stets als ein gestalterisch wichtiges Element des öffentlichen Raums verstand, zeigt das an diesem Abend vorgestellte Buch von Christoph Bignens (Text und Konzept). Bernard Liechti, der die Projektleitung der neuen Publikation «Reklame im Stadtbild» hatte, bedankte sich beim ganzen Team und vor allem beim Leuchtwerbeunternehmen Westiform. «Die Firma hat einen namhaften Beitrag ans Gelingen des Buches beigesteuert», erklärte er. «Gut gestaltete Reklameanlagen, die sich in die gebaute Umgebung einpassen, schaffen Identität», bestärkte Liechti eher die Gäste aus der Privatwirtschaft. «In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts hielt die Leuchtwerbung Einzug in die Stadt Zürich. 1928 schuf die Stadtverwaltung eine neue Stelle und intensivierte in der Folge die Organisation der Aussenwerbung mit Beratung, Vorgaben und Reglementen. Die Fachstelle für Reklamebewilligungen ist seither Teil der Stadtplanung.»
Liechti, der mitten im Spannungsfeld der Vergabe von Werbeplätzen steht, versucht zwischen den Protagonisten zu vermitteln, obwohl die neu in Zürich und Bern eingeführte Vorgabe, dass nach dem Submissionsverfahren und einer möglichen Vertragsunterzeichnung das eingebrachte und vom Bewerber vorfinanzierte Trägermaterial nach Ablauf des Vertrages dem Staat zufallen soll, für hochrote Köpfe sorgt.
Beat Holenstein, Mitglied der APG-Geschäftsleitung, sagte gegenüber dem Klein Report am Montagabend: «In einer freien Marktwirtschaft gehört es definitiv nicht zu den Kompetenzen einer Stadtbehörde, Werbeträger zu halten. Wir sprechen hier von einer Enteignung und Verstaatlichung des Trägermaterials, das für unsere Branche existenzbedrohend sein kann. Der gesamte Entwicklungs- und Innovationsprozess ist dadurch gefährdet. Zudem müssen Plakatträger laufend unterhalten und repariert werden. Wir können nur hoffen, dass die Städte bald zur Einsicht kommen und unsere Argumente verstehen, dass dies der komplett falsche Weg ist.»
In Zürich und Bern sind links-grüne Regierungen der
Meinung, dass durch den Einstieg von weiteren Marktteilnehmern mehr Wettbewerb möglich ist, da die beiden grossen Aussenwerbekonzerne Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) und Clear Channel den Schweizer Plakatmarkt dominieren.
Christian Soppelsa, Leiter Akquisition von Clear Channel Outdoor, stellt auch fest, dass tatsächlich Tendenzen in gewissen Städten erkennbar seien, sich das Trägermaterial der ausgeschriebenen Stellen aneignen zu wollen. «Dies war bis anhin kein Thema. Dabei stellt sich auch die Frage, wer bei einem Schadensfall die Haftung zu übernehmen hat - Betreiber oder Besitzer?», fügte er an.
«Reklame im Stadtbild» kann unter www.stadt-zuerich.ch/hochbau bestellt werden.
Dienstag
10.11.2009