«Keiner hat Mitspracherecht im Verlag.» Das sagte Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz zum Verkauf der Reinhart-Aktien an die beiden Hamburger Hans Barlach und Claus Grossner in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Die Anwälte des Suhrkamp-Verlages prüften gerade, ob der Verkauf der Anteile der Winterthurer Kaufmannsfamilie Reinhart an Barlach und Grossner überhaupt rechtmässig sei. «In der nächsten Woche wissen wir mehr», so Unseld-Berkéwicz. Eine Zusammenarbeit bei der Programm-Konzeption lehnte sie kategorisch ab.
Der Medieninvestor Barlach und der Investmentbanker Grossner übernehmen zum Jahreswechsel den 29-prozentigen Anteil des Schweizer Mäzens Andreas Reinhart zusammen mit dessen übrigen Medienbeteiligungen. Reinhart hatte die Situation im Verlag kritisiert, und ausgerechnet er beklagte das «Herausmobben» von Geschäftsführern und den Führungsstil von Siegfried Unselds Witwe. Dass er und sein Rechtsberater Peter Beglinger von der Zürcher Rechtsanwaltskanzlei Beglinger, Holenstein nicht mit Ulla Unseld-Berkéwicz zurande kamen, zeigt der Umstand, dass die Anteile nicht an die Suhrkamp-Stiftung verkauft worden sind. Denn offensichtlich ist die Verlegerin Geschäftsfrau genug, um das Spiel zu durchschauen.
Auf die Frage der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» ob sie der Verkauf der Anteile von Reinhart an Barlach und Grossner überrascht habe, sagte sie: «Und wie! Wir haben nichts geahnt. Überhaupt nichts. Wir waren in Verhandlungen mit Reinhart. Es war uns seit längerem bekannt, dass er seine Anteile verkaufen will, und die Stiftung sollte diese übernehmen. Wir, also die Stiftung, waren natürlich nicht bereit, Fantasiepreise zu bezahlen, sondern nur das, was die Anteile wirklich wert sind.»
Am vergangenen Donnerstag, als der Verkauf publik wurde, meldeten sich die beiden Finanzinvestoren, die sich offenbar schon im Olymp höchsten deutschen Literaturschaffens wähnen, freudig zu Wort. «Sie würden in Zukunft bei der Bestellung des Verlagsprogramms mitreden und freuten sich schon `auf die Gespräche mit Autoren`», wie die «Frankfurter Allgemeine SonntagsZeitung» berichtete. Und Investmentbanker Grossner sagte am Freitag, «`prominente Suhrkamp-Autoren` hätten ihm per Fax ihre Freude über seinen Geschäftseinstieg ausgedrückt», so die Zeitung weiter.
Auf die Frage, ob sie eine stärkere Einflussnahme durch die neuen Miteigentümer befürchte, da die Ankündigungen ja eindeutig seien, sagte Ulla Unseld-Berkéwicz: «Das ist absurd! Absolut absurd! Keiner der Gesellschafter, weder Joachim Unseld noch die Reinharts, hat jemals zu irgendeinem Zeitpunkt Einfluss aufs Programm genommen. Das ist auch gar nicht möglich. Keiner hat Mitspracherecht im Verlag. Die Gesellschafter können lediglich die Bilanzen einsehen.»
Zu diesem Thema kolportiere Andreas Reinhart jetzt, dass es dem Verlag wirtschaftlich schlechtgehe, dass er seit fünfzehn Jahren nicht mehr gewachsen sei, so die Zeitung. «Das stimmt überhaupt nicht. Selbstverständlich sind der Verlag und die Umsätze des Verlags gewachsen. Wir haben uns lediglich bemüht, das Taschenbuchprogramm etwas zu verkleinern. Aber wir haben noch nie in der Geschichte des Verlags rote Zahlen geschrieben. Allein in diesem Jahr haben wir bislang eine Umsatzsteigerung von 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erreicht», widersprach die Verlegerin den rufschädigenden Äusserungen des Mäzens.
Und zu den Glückwunsch-Faxe die an Investor Claus Grossner gingen, meinte sie: «Na, welche Autoren sind denn das wohl? Ich sage Ihnen, die Suhrkamp-Autoren schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Von Glückwünschen kann da bestimmt keine Rede sein.»
Sonntag
12.11.2006