Content:

Donnerstag
07.04.2016

Medien / Publizistik

Marcel-Gyr-Terrorjahre-Schweiz-Klein-Report

Das Buch «Schweizer Terrorjahre - Das geheime Abkommen mit der PLO» entfachte eine Auseinandersetzung zwischen der «Neuen Zürcher Zeitung» und dem «Tages-Anzeiger».

Den vorläufigen Höhepunkt der Kampagne von der Zürcher Werdstrasse setzte ein Artikel, in dem behauptet wird, dass Farouk Kaddoumi keine Verhandlungen mit hohen Schweizer Vertretern habe führen können, weil er zur fraglichen Zeit in einem jordanischen Gefängnis gesessen habe.

Spannend ist, dass ausgerechnet der «Tages-Anzeiger» einige Tage nach besagtem Artikel schrieb, dass Farouk Kaddoumi Pierre Grabers wichtigster Ansprechpartner gewesen sein soll. Nicht nur Buchautor Marcel Gyr war über den Zickzack-Kurs des Tagis erstaunt. Während der «Tages-Anzeiger» immer voll auf den Mann gespielt hat und die Funktion und den Namen Gyrs in jedem Artikel erwähnt hat, wird weder der Name noch der Titel des Buches in Res Strehles Essay, in dem Marcel Gyrs These gestützt wird, erwähnt.

Wie hat Marcel Gyr die Kampagne gegen sich erlebt? Im Gespräch mit dem Klein Report lässt der Reporter der «Neuen Zürcher Zeitung» die turbulente Zeit nochmals Revue passieren: «Phasenweise war mein Eindruck, es gehe nicht um die Wahrheitsfindung, sondern in erster Linie um das Niederreissen meiner These mit allen Mitteln», so Gyr zum Klein Report: «Wenn ich richtig gezählt habe, gab es im `Tages-Anzeiger` und in der `SonntagsZeitung` einmal innerhalb von acht Tagen sechs oftmals seitenfüllende Artikel, in denen praktisch nur eine Seite zu Wort kam. Als ich darauf in einem Interview etwas Gegensteuer gab, rief mich Tagi-Chefredaktor Arthur Rutishauser an und schlug mir `Deeskalation` vor. Wenige Tage später folgte im Tagi der nächste seitenfüllende Artikel. Darin wurde Daoud Barakat, lange so etwas wie der `Propagandaminister` der PLO im deutschsprachigen Raum, eine Plattform geboten, auf der er mit falschen Behauptungen weiter Stimmung gegen mein Buch machen durfte.»

Die Berichterstattung des «Tages-Anzeigers» hatte aber noch weitere Konsequenzen, findet Marcel Gyr, denn «durch die einseitige Berichterstattung ist in Teilen der Öffentlichkeit ein falsches Bild entstanden. Im Tagi und auch in anderen Medien kommt zum Beispiel als Historiker fast ausschliesslich Sacha Zala zu Wort. Er findet meine These eines Geheimabkommens mit der PLO wenig plausibel. Das hat er bereits am ersten Tag nach der Buchveröffentlichung gegenüber dem Westschweizer Radio ein erstes Mal kundgetan; seither durfte er seine Einschätzung auf diversen Kanälen mehrfach wiederholen», so Gyr gegenüber dem Klein Report.

«Aber: Unter den Fachleuten steht Sacha Zala ziemlich alleine da. Es gibt im deutschsprachigen Raum vielleicht eine Handvoll Zeithistoriker, die sich seit Jahren, zum Teil sogar seit Jahrzehnten, wissenschaftlich mit dem palästinensischen Terror jener Jahre beschäftigen. Hinzu kommen einige Autoren wie etwa der deutsche Journalist Willi Winkler von der `Süddeutschen Zeitung`. Sie alle haben mir, unabhängig voneinander, zu meiner Recherche gratuliert. Ihrer Ansicht nach ist der PLO-Deal plausibel und passt bestens in die damalige politische Landschaft», fährt er fort.

Doch nicht nur Historiker und Autoren renommierter Zeitungen stützten Gyrs These, sondern auch sein Arbeitgeber NZZ hielt in den ganzen Turbulenzen zu ihm, wie Marcel Gyr gegenüber dem Klein Report berichtet. «Der Inlandchef hat das Projekt von Anfang an eng begleitet. Als es mit der Tagi-Kampagne losging, sind wir mit dem Chefredaktor zusammengesessen und haben eine Auslegeordnung gemacht. Dabei habe ich nochmals meine Quellenlage erörtert und einen Faktencheck gemacht. Daraufhin hiess es: Alles klar, wir lassen die Konkurrenz bellen und halten an unserer Linie fest. Dass die NZZ und auch der Verlag NZZ Libro nie auch nur einen Hauch von Zweifel an mir aufkommen liessen, ist für mich sehr wichtig.»

Marcel Gyr ist froh, dass sich die Aufregung um sein Buch wieder gelegt hat und er sich als Leiter des Reporterteams bei der «Neuen Zürcher Zeitung» wieder dem Tagesgeschäft widmen kann. Doch er bedauert trotz allem Gegenwind nicht, das Buch geschrieben zu haben: «Ich sehe das so, dass ich mit meiner These des Geheimdeals einen ersten Stein ins Wasser geworfen habe. Das Buch stellt den Stand der Recherchen Ende letzten Jahres dar. Inzwischen weiss ich einiges mehr, aber zu diesem Wissen bin ich hauptsächlich gekommen, weil das Buch derart hohe Wellen geworfen hat. Mit den derart heftigen Reaktionen habe ich nicht gerechnet. Aber es ist ein bisschen wie beim Segeln: Gegenwind kann ganz schön Power erzeugen.»

Das brisante Buch von Marcel Gyr schreit geradezu nach einer Verfilmung. Das fand kürzlich auch die «NZZ am Sonntag» in ihrer Buchrezension. «Eine erste Anfrage gab es schon wenige Tage nach der Buchpublikation. Inzwischen sind weitere Anfragen hinzugekommen und ich kann mir vorstellen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft einen Vertragsabschluss mit einer ernsthaften Interessentin geben könnte», verrät Marcel Gyr gegenüber dem Klein Report. «Für mich wäre das Ganze in erster Linie ein Abenteuer, auf das ich mich sehr freuen würde.»