Wird in der Politikberichterstattung zu viel über die Personen geredet und zu wenig über die Sache? Wird der politische Journalismus immer unpolitischer? Darüber diskutierten Politikjournalisten auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
Die These: In der heutigen Politikberichterstattung geht es gar nicht mehr um Politik, sondern darum, dass mithilfe von Personalisierung, Banalisierung und Dramatisierung lediglich inhaltsleere Unterhaltung geboten wird. Darüber diskutierten an der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche Franziska Augstein von der «Süddeutschen Zeitung», Christian Bommarius von der «Berliner Zeitung», Axel Vorbäumen vom «Stern» und René Pfister vom «Spiegel».
Markus Grill vom «Spiegel», der das Gespräch moderierte, stieg ein mit dem Textbeispiel von Laura Himmelreich, die im «Stern» vor allem das sexistische Verhalten des FDP-Politikers Rainer Brüderle beschrieben hatte. Ob das ein politisches Porträt gewesen sei? Christian Bommarius hatte dies schon damals, als der Text erschienen war, vehement verneint.
Axel Vorbäumen vom «Stern» beharrte hingegen darauf, dass es eine politische Information sei, zu erfahren, wie sich ein Spitzenpolitiker in bestimmten Situationen verhalte. René Pfister vom «Spiegel» teilte die Meinung, dass die Beschränkung auf dieses Thema zulässig sei. Es gebe aber nicht zu viele Politikerporträts, sondern es fehle an politischem Personal, das genügend interessant sei.
Franziska Augstein machte darauf aufmerksam, dass man an einem richtigen Porträt so lange arbeiten müsse wie an einer investigativen Recherche. Ein Mittagessen mit der zu porträtierenden Person reiche nie aus, das sei ein um sich greifender Irrtum. Dem Brüderle-Porträt fehle vieles, was zu einem richtigen Porträt gehöre. Sie geisselte zudem die Tendenz, sich mit Personendarstellungen zu begnügen, statt politische Strukturen zu analysieren. «Stern»-Journalist Vorbäumen war hingegen der Ansicht, politische Porträts führten überhaupt nicht dazu, dass nicht mehr über Politikinhalte berichtet werde.
Dann kam das Gespräch auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. René Pfister erinnerte daran, dass über ihre Politikfelder sehr viel berichtet werde. Es sei aber falsch, die Berichterstattung auf eine Art Merkel-Psychologie zu reduzieren, denn das gleiche der früheren Kreml-Astrologie. Axel Vorbäumen fand, dass die Bundeskanzlerin hermetisch kontrolliere, was über sie berichtet wird. Sie erzähle gezielt bestimmte Anekdoten und Episoden, um von sich das gewünschte Bild entstehen zu lassen.
Christian Bommarius erinnerte daran, dass man auch über die Kanzler Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Helmut Kohl während ihrer Amtszeit kaum etwas Privates und Persönliches erfahren habe. René Pfister wies darauf hin, dass man bei Angela Merkel die grossen politischen Linien nicht erkenne, weil sie stets nur kleine Schritte mache.
Soll man also in den Medien anstelle von Porträts öfter die grossen Fragen thematisieren? Pfister vermutete, dass es dafür keinen Widerhall gäbe. Christian Bommarius war aber der Meinung, dass die Medien schon weniger Kontext lieferten als noch vor 20 Jahren.
Genau das hat die Kommunikationswissenschaft seit Langem konstatiert: Über die politischen Systemzusammenhänge (polity) wird in den Medien am wenigsten berichtet. Und die Berichterstattung über die Politikinhalte (policy) wird in den Schatten gestellt durch jene über das politische Vorgehen (politics).
Die Berichterstattung ist kurzweiliger geworden, aber auch beliebiger, weniger kontinuierlich. Die Themen orientieren sich mehr an der Medienlogik (Was ist spannend, konfliktreich, skandalös?) und weniger an der Politiklogik (Was verlangt der politische Kalender? In welchem Stadium des Gesetzgebungsprozesses befindet sich ein Geschäft?). Deshalb sind politische Themen, die in der einen Woche Schlagzeilen machen, oft in der nächsten Woche schon wieder vergessen.