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Freitag
23.09.2011

Der Vorwurf, den der Politikwissenschaftler Philipp Leimgruber am Donnerstag in der «WOZ» gegenüber Michael Hermann erhob, war heftig: Der Politgeograf Hermann habe kürzlich in einem «Tages-Anzeiger»-Artikel die beiden Achsen links/rechts sowie liberal/konservativ einer Politkarte falsch ausgerichtet - und zwar um rund 30 Grad gegen den Uhrzeigersinn. «Die Ergebnisse widersprechen sämtlicher Forschung der Schweizer Politikwissenschaft», sagte Leimgruber der «WOZ». Die Grünen würden so zu Erzkonservativen und in dieser Hinsicht «absurderweise» gar die SVP übertreffen, während die Grünliberalen in Wirtschaftsfragen weit ins linke Lager rückten.

Der Klein Report konfrontierte Politik-Experte Michael Hermann am Donnerstag mit den Vorwürfen. Dieser gab sich gelassen: «Die Diskussion ist interessant. Ich finde es richtig, dass meine Arbeit hinterfragt wird. Bei Politkarten gibt es nun mal keine objektive Wahrheit», so Hermann. Es gebe in der Wissenschaft zwei Ansichten. «Der Begriff liberal kann unterschiedlich ausgelegt werden. Eine Partei, die in Gesellschaftsfragen liberal denkt, stimmt nicht automatisch auch bei Wirtschaftsfragen liberal. Bei wirtschaftspolitischen Positionen sind die linken Parteien konservativer als die SVP», erklärte Hermann gegenüber dem Klein Report. Entsprechend gering sei das Echo auf die vermeintlich falsche Karte ausgefallen. «Direkt bei mir beschwert hat sich einzig der grüne Zuger Politiker Jo Lang, der sich darüber beschwerte, als zu wenig liberal eingestuft worden zu sein», erzählt Hermann.

Einen Lapsus gab der Politgeograf indes zu. Diesen habe allerdings die Redaktion des «Tages-Anzeigers» zu verantworten. «Aus layouttechnischen Gründen ist die Grafik vertikal gestreckt worden. Die Unterschiede auf der Achse liberal/konservativ waren auf der fertigen Zeitungsseite, die ich leider vor Druck nicht genau angeschaut hatte, grösser als bei meiner Vorlage. Die Distanzen auf der Achse links/rechts wären eigentlich grösser als auf der Achse liberal/konservativ», so Hermann.

«Es ist bedenklich genug, dass viele Schweizer Medien mithilfe ihrer `Denkprothesen` Michael Hermann, Claude Longchamps und Konsorten die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten zunehmend durch deren Vermessung ersetzen», kritisierte die «WOZ» in ihrem Artikel ebenfalls. Auf den Begriff «Denkprothesen», den die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» geprägt hat, möchte sich Hermann nicht reduzieren lassen. «Politkarten und Ratings sind Denkerweiterungen und nicht Denkprothesen», erklärte er dem Klein Report. Sie würden neue Einblicke in die Politik bieten, sie dürften aber natürlich das kritische Denken nicht ersetzen. «Gerade vor Wahlen sind Politiker und Medienschaffende begierig auf solche wissenschaftliche Instrumente. Die Nachfrage ist 2011 grösser als in früheren Jahren», so Hermann.