In welcher Rolle befinden sich Medienforscher, die für einen Auftraggeber arbeiten? Sind sie eher Leibeigene oder eher Hofnarren? Der Publizist und emeritierte Professor für Medienwissenschaft Roger Blum ging dieser Frage für den Klein Report nach.
Es gibt zweierlei Forschung: Grundlagenforschung und angewandte Forschung. Die Grundlagenforschung dient dazu, neue Erkenntnisse zu gewinnen, ohne dass schon klar ist, ob diese Erkenntnisse einen praktischen Nutzen haben. Ein Medienforscher möchte beispielsweise herausfinden, warum im 16. Jahrhundert keine Zeitungen entstanden, im 17. Jahrhundert aber schon, obwohl die technischen Möglichkeiten seit 1450 vorhanden waren. Die angewandte Forschung hingegen hat immer den Zweck, einem Auftraggeber zu helfen, ein Problem zu lösen. Ein Medienunternehmen möchte beispielsweise wissen, ob Gratiszeitungen junge Leute dazu animieren, später Bezahlzeitungen zu abonnieren. Oder eine staatliche Behörde möchte erfahren, ob es neben der Posttaxenverbilligung andere sinnvolle Varianten der Presseförderung gibt.
Die Grundlagenforschung wird in der Regel durch öffentliche Institutionen wie den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert. Angewandte Forschung wird vor allem durch politische Behörden oder durch Unternehmen in Auftrag gegeben, im Medienbereich durch das Bundesamt für Kommunikation, andere Bundesämter (wie beispielsweise das Bundesamt für Gesundheit) einerseits und durch Medienunternehmen und Medienverbände anderseits.
An der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) in Dortmund berichteten Professorin Gabriele Siegert und Loris Russe von der Universität Zürich über Medienforschung mit einem staatlichen Auftraggeber, während Professor Bernd Blöbaum von der Universität Münster die Erfahrungen mit einem privaten Auftraggeber darlegte.
Gabriele Siegert und ihr Mitarbeiter reflektierten die Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen dem Auftraggeber Bundesamt für Kommunikation und einem Forschungsinstitut und zeigten, dass beide Seiten ein Eigeninteresse haben. Der Auftraggeber möchte die Forscher motivieren, in seinem Interesse zu handeln. Die Forscher wollen vielleicht die Datenerhebung ausweiten, um noch andere Ziele zu erreichen, beispielsweise Studien, die sie international publizieren können. Der Auftraggeber weiss nicht, ob die Forscher die erwarteten Leistungen erbringen. Für die Forscher wird es unangenehm, wenn die politische Öffentlichkeit und die Medienbranche einbezogen wird, weil dann die Beziehung dreidimensional wird und der Auftraggeber als Moderator agieren muss.
Bernd Blöbaum begleitet seit Längerem forschend die «Tageszeitung» (taz) in Berlin. Als Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit nannte er die gegenseitige Anerkennung der Autonomie von Wissenschaft und von Medienhaus und die wechselseitige Lernfähigkeit. Warum braucht eine Zeitung wie die taz überhaupt die Wissenschaft? Laut Blöbaum will sie mithilfe der Forschung Entscheidungen absichern, Entscheidungsgrundlagen entwickeln, mehr über das eigene Publikum wissen und Entscheidungen evaluieren. Letztlich will sie die Effizienz steigern. Blöbaum liefert nur die Daten, hütet sich indessen, Ratschläge zu erteilen. Er will das nicht. Die Entscheide müsse die taz fällen.
In der Diskussion wurden zwei Fragen diskutiert: Inwiefern machen sich Forscher zu Leibeigenen ihrer Auftraggeber, die nichts Kritisches mehr über den Auftraggeber oder über die Medien überhaupt sagen dürfen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, ihren Auftrag zu verlieren? Gerade in Deutschland, aber teilweise auch in der Schweiz kritisieren viele Wissenschaftler Fehlentwicklungen im Medienbereich nicht öffentlich. Der Verdacht besteht, dass sie den Mund halten, um Aufträge nicht zu gefährden.
Die andere Frage lautet: Warum sollten Forscher ihre Erkenntnisse nicht als Ratschläge formulieren? Warum sollen sie sich nicht so verhalten wie Hofnarren, die ihren Auftraggebern ja durchaus auch Unangenehmes ins Gesicht sagen? Hier zogen sich zwei Positionen durch die ganze Dortmunder Tagung: Die einen sagen, die Forschung soll auch einen praktischen Nutzen haben, und den soll man deutlich machen. Die anderen sagen: Forschung ist Forschung, die Medienpraxis muss selber entscheiden, ob sie etwas damit anstellen will.