Von Mitte September an wird die Gratiszeitung «20 minuti» den jetzt schon satten Tessiner Medienmarkt neu aufmischen. Warum das gefährlich ist, erläutert Roger Blum in seinem Kommentar für den Klein Report.
Es gibt gute Gründe, im Tessin eine Gratis-Tageszeitung auf den Markt zu werfen. Erstens können Werbetreibende aus der Deutschschweiz und aus der Suisse romande durch günstige Tarife dazu bewogen werden, auch im Tessin zu werben. So fliesst zusätzliches Werbegeld zumindest teilweise in die Südschweiz. Zweitens kann die Tamedia Synergien mit den Gratiszeitungen «20 Minuten» und «20 Minutes» herstellen. Gute Geschichten können so beispielsweise übersetzt und mehrfach verwertet werden. Und drittens werden neue journalistische Arbeitsplätze geschaffen.
Aber diese guten Gründe wiegen die Gefahren nicht auf, die vom Herbst an im Tessin lauern werden. Die drei bisherigen Tessiner Tageszeitungen sind Blätter mit einer politischen Färbung. Sie teilen zwar dieselbe politische und journalistische Kultur, zu der nicht unbedingt gehört, Regierung und Verwaltung investigativ zu durchleuchten, sondern die auch mafiöse Züge aufweist. Aber sie unterscheiden sich doch immer wieder in ihren politischen Positionen: rechtsliberal und dem Rechtsfreisinn des Sottoceneri nahestehend der «Corriere del Ticino», linksliberal und eher zu den Radikalliberalen des Sopraceneri haltend «La Regione», der Kirche und dem Katholizismus verbunden das «Giornale del Popolo». Und als vierte Stimme kommt die derbe, rechtspopulistische Zeitung des «Mattino della domenica» hinzu. Für den politischen Diskurs ist daher gesorgt.
Bis jetzt haben die Gratiszeitungen der Deutschschweiz und Westschweiz nicht bewiesen, dass sie den politischen Diskurs beleben. Im Gegenteil: Sie berichten neutral, wirken wenig investigativ, enthalten sich der politischen Kommentare und kannibalisieren dazu die bisherigen Zeitungen, auch jene aus den Verlagen, die davon werbemässig profitieren. So ist es denn nicht unwahrscheinlich, dass durch den Auftritt von «20 minuti» die drei klassischen Tageszeitungen nochmals Werbeeinnahmen verlieren werden. Und dies könnte bedeuten, dass es der schwächsten der drei, dem «Giornale del Popolo», endgültig an den Kragen geht. Dies aber wäre eine Verarmung des öffentlichen politischen Diskurses im Tessin und ein Schlag für die Medienvielfalt, ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen, die betroffen wären.
Bereits Ringier hat durch sein Eindringen mit einer Sonntagszeitung den bisherigen Tessiner Blättern Einnahmen entzogen. Jetzt kommt die allmächtige Tamedia und schöpft nochmals ab. Das ist nicht das, was man bisher gut eidgenössisch unter Minderheitenschutz verstand.