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Sonntag
14.08.2011

Das 64. Festival del Film Locarno ist Vergangenheit. Die Cowboys haben abgesattelt, die Aliens sich verzogen, die Emigranten versuchen weiter, in der Fremde heimisch zu werden, wo ihnen Argwohn, Neid und teilweise Hass entgegenschlagen. Nebst Hollywood-Getöse, brutalem Action-Brimborium und Starrummel haben sich in der Festivalausgabe 2011 vor allem zwei Themen herausgeschält: Selbstfindung und Emigrantenschicksale, bilanziert der Filmexperte des Klein Reports Rolf Breiner.

Der argentinisch-schweizerische Siegerfilm «Abrir puertas y ventanas» von Milagros Mumenthaler, die selbst als Argentinierin in der Schweiz aufgewachsen ist, erzählt von drei Schwestern in Buenos Aires, die ihr Verhältnis zueinander klären und dann ihre eigenen Wege gehen. Ein Kammerspiel um Selbstfindung.

Der Publikumsliebling auf der Piazza Grande (Prix du Public UBS), «Bachir Lazhar» von Philippe Falardeau, 1968 in Quebec geboren, beschreibt die Versuche eines algerischen Immigranten, in Kanada Fuss zu fassen, persönliche Verluste (Tod seiner Familie) zu überwinden und Kindern einen Halt zu geben. Ein Film, den man unter den Preisträgern in Locarno erwartet hätte, ging fast leer aus, der Schweizer Dokumentarfilm «Vol spécial» von Fernand Melgar wurde nur von der Ökumenischen Jury gewürdigt. Die Beschreibung des Alltags im Genfer Ausschaffungszentrum Frambois, - nicht ohne politisch-gesellschaftlichen Zündstoff - war nach Meinung des Klein Reports im Wettbewerb fehl am Platz. Gleichwohl hätte er mehr Juryaufmerksamkeit verdient.

Überhaupt war der Wettbewerb eher mässig bestückt, wenige Werke wie «Onder ons» von Marco van Geffen (Holland), lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury, oder «Tokyo Koen» von Shinji Aoyama (Japan), mit einem Spezialpreis der Jury bedacht, ragten hervor.

Die Preisflut, die über Filme, Filmer und Altsstars (Ehren- und Karrierepreise an Abel Ferrara und Claude Goretta, an Harrison Ford, Bruno Ganz, Isabelle Huppert und Claudia Cardinale) hereinbrach, sorgte für Boulevard-Glamour in der Presse und Publikumsneugierde. Insofern ging die Festivalrechnung auf. Weit über 150 000 Besucher registrierte das Festival, und auch das junge Publikum kam mit entsprechendem Action- und Alien-Spektakel auf seine Kosten und zahlreicher als auch schon.

Direktor Olivier Pères Programmmischung stimmte offenbar, was nur marginal etwas über die Festivalqualität aussagt, die sich im Rahmen hielt. Film(wieder)entdeckungen waren gleichwohl auszumachen, dazu zählten die Retrospektiven von den Altmeistern Claude Goretta und Vincent Minelli, das lakonisch-herbe Solidaritätsmärchen von Aki Kaurismäki, «Le Havre», und die tragikomische Samurai-Persiflage «Saya Zamurai» von Hitoshi Matsumoto auf der Piazza. Das Mädchen Kazuo Takehara - sie spielt die Tochter eines schwertlosen Samurai - wurde auf der Piazza wie eine Claudia Cardinale bejubelt: A Star is born. Was wollen Père und Locarno mehr!