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Sonntag
18.04.2021

TV / Radio

Die Krise ist längst noch nicht ausgestanden: Nur 43 von 230 Zeugenaussagen haben die Gutachter Muriel Epard und Stanislas Zuin bisher ausgewertet. (Bild © RTS)

Die Krise ist längst noch nicht ausgestanden: Nur 43 von 230 Zeugenaussagen haben die Gutachter Muriel Epard und Stanislas Zuin bisher ausgewertet. (Bild © RTS)

Gerechnet hatten die beiden Gutachter Muriel Epard und Stanislas Zuin mit 30 Zeugen, gekommen sind über 230. Der Klein Report hat den Untersuchungsbericht zu den Verantwortungsketten in der RTS-Belästigungsaffäre unter die Lupe genommen.

Schon nur die Art der Publikation des Berichts ist eine Story wert. Zunächst einmal liest man sich durch penible juristische Abwägungen, weshalb die SRG nicht den gesamten Untersuchungsbericht herausrückt. Die auf neun Seiten geraffte Zusammenfassung sei ein Kompromiss zwischen Transparenz und Schutz der Privatsphäre der betroffenen Personen. 

Eine vollständige Anonymisierung der Daten von Einzelfällen sei nicht möglich gewesen, schreibt die SRG in der Präambel zu dem brisanten Dokument weiter. Dabei wäre eine Anonymisierung auch durch Schwärzung und Pseudonyme denkbar. Dies jedoch hätte nicht genügend Schutz geboten.

Was auf dem Tisch liegt, ist also eine Zusammenfassung aus zweiter Hand. 

Trotzdem fehlt es dem Stück nicht an Brisanz. Die Ergebnisse der Untersuchung, die Muriel Epard und Stanislas Zuin durchführten, gipfeln in dem bemerkenswerten Satz: «Es scheint ein tiefes Unbehagen unter den RTS-Mitarbeitenden zu geben.» 

Die beiden Gutachter rechneten ursprünglich nämlich nur mit etwa 30 Zeugenaussagen. Tatsächlich meldeten sich 230 Personen. Um den Veröffentlichungstermin des Berichts einzuhalten, berücksichtigten sie schliesslich nur jene 43 Aussagen, welche die drei Belästigungsfälle um «Georges», «Robert» und Darius Rochebin betrafen. Diese drei Fälle hatte «Le Temps» am 30. Oktober 2020 enthüllt und damit den Stein ins Rollen gebracht.

Es gibt also offensichtlich noch sehr viel mehr Zündstoff und Klärungsbedarf als nur zu jenen drei Fälle, welche die SRG am Freitag kommunikativ zu bewältigen versuchte. Die Genfer Kanzlei «Collectif de Défense» hat einen «Abschlussbericht» auf Juni 2021 angekündigt.

In zwei der drei untersuchten Fällen kommen Muriel Epard und Stanislas Zuin – immer gemäss Zusammenfassung – zum Schluss, «dass sich der Hierarchie nicht vorwerfen lässt, sie habe nicht eingegriffen». «Sämtliche betroffene und informierte Kader haben angemessen gehandelt.»

In einem Fall dagegen sehen die beiden Gutachter Fehler bei einem Vorgesetzten. Eine Person habe Führungsmängel in der Art gezeigt, «wie sie mit den über einen Zeitraum von mehreren Jahren eingegangenen Beschwerden über das Verhalten einer Person umging, die sie in den verschiedenen Mitarbeitergesprächen in keinerlei Hinsicht ansprach oder erwähnte, nicht einmal in Form von Zielen, die künftig verbessert werden sollten.»

Das tönt vernichtend. Die Gutachter relativieren jedoch: «Diese Unzulänglichkeiten für sich genommen stellen kein schwerwiegendes Fehlverhalten dar, problematisch wird es jedoch in der Gesamtschau der unzureichenden Reaktionen.»

Ein anderer Fehler sehen Muriel Epard und Stanislas Zuin bei der Definition des Mandats für eine externe Untersuchung und der Art, wie über die Ergebnisse kommuniziert wurde. Und hier kommt der damalige RTS-Direktor Gilles Marchand ins Spiel.

Eingeleitet worden war diese Untersuchung von der Personalabteilung. Darin ging es um jenen fehlbaren Vorgesetzten. 

Der Abteilungsleiter und der RTS-Direktor trügen dabei eine «sekundäre Aufsichtsverantwortung», und zwar, weil sie «die problematische Definition des Umfangs der Untersuchung nicht erkannt haben». 

Auf gut Deutsch heisst das vermutlich: Die Untersuchung war zahnlos. Und zu Ende gedacht heisst das wahrscheinlich weiter: Es hat den Betroffenen, die unter den Missständen litten, nicht viel genützt.

Diesen Fehler halten die beiden Gutachter für «nicht schwerwiegend». Dies entspricht genau jenem Attest, das der SRG-Verwaltungsrat am Freitag Gilles Marchand ausstellte.

Bemerkenswert ist schliesslich auch die Reichweite, die Gutachter ihrem Bericht beimessen. Sie hätten ihre Untersuchung lediglich auf der Grundlage der bisher vorliegenden Informationen gemacht. Für eine «Gesamtbetrachtung der Problematik» reiche das nicht aus.