Content:

Sonntag
24.10.2004

Verleger und Schriftsteller gehen mit deutschen Theatern hart ins Gericht: Autorentexte würden von Regisseuren bis zur Unkenntlichkeit gekürzt, in Bruchstücke zertrümmert und regelrecht «zerfleddert», so der Vorwurf bei einer Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

«Eigentlich müsste jede zweite Aufführung zeitgenössischer Stoffe aus Urheberrechtsgründen verboten werden», sagte der Frankfurter Verleger Karlheinz Braun bei der Herbsttagung der Akademie in Darmstadt. Regisseure kürzten Texte bis zur Unkenntlichkeit oder nutzten die Vorlage nur als Steinbruch für eigene Ideen. Das Urheberrecht zeitgenössischer Autoren werde mit Füssen getreten, schreibt «Spiegel Online» am Sonntag.

«Regisseure haben Angst, hinter dem Stück zu verschwinden.» Dennoch komme es nur selten zu Gerichtsverhandlungen: «Die Schriftsteller und Verlage verzichten darauf, weil ein solches Verfahren kostspielig und der Ausgang schwer auszurechnen ist. Ausserdem könnte eine einstweilige Verfügung gegen eine Uraufführung ein Theater ruinieren», so Braun, der bis vor einem Jahr den Verlag der Autoren leitete. Als Ursache für diesen Trend sieht er das «Markenbewusstsein der Regisseure», die vor allem daran interessiert seien, sich selbst in Szene zu setzen.

Nach Brauns Auffassung hat der Umgang der Theater mit den literarischen Vorlagen direkten Einfluss auf die Arbeit der Autoren: «Viele meinen, sie müssten nicht mehr so genau schreiben, weil die Regisseure doch nur Bruchstücke herausnehmen.» Erschwert werde die Situation für zeitgenössische Autoren auch durch die «Event-Kultur», die in den Theatern Einzug gehalten habe. «Die Uraufführung wird mit grossem Rummel in Szene gesetzt - oft auch als Projekt, und danach verschwindet das Stück in der Schublade», bedauerte Braun. Diese Kurzlebigkeit zwinge die Autoren, immer schneller zu produzieren. Die Qualität steigere das nicht. Früher dagegen seien gute Vorlagen von 30 bis 40 anderen Theatern nachgespielt worden.

Die Autorin Theresia Walser schloss sich der Kritik des Verlegers an: «Es ist zurzeit der Lieblingssport von Regisseuren, die literarischen Vorlagen zu zerfleddern. Sie glauben, sie müssten der Sprache mit dramaturgischen Mitteln auf die Sprünge helfen.» Dann werde zum Beispiel aus einem einfachen Tisch auf der Bühne ein Auto, aus einem Glas ein drei Meter langes Röhrchen und aus einem Dorf ein futuristisches Niemandsland. «Ich glaube, die Regisseure haben Angst, hinter dem Text zu verschwinden», so Walser.

Aus Sicht des Autors Roland Schimmelpfennig unterwerfen sich die Regisseure dem Markt nach der Devise: «Wer ist lauter, wer ist schneller.» Deshalb peppten sie die literarischen Vorlagen auf, auch wenn sie damit das Stück entstellten. Im englischsprachigen Raum werde dagegen noch den Texten und den Vorgaben der Autoren vertraut.