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Montag
28.06.2021

Medien / Publizistik

«Ich sehe den Kerngehalt der Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit durch diese Änderung daher nicht als gefährdet», sagt Medienrechtler Andreas Meili. (Bild zVg)

«Ich sehe den Kerngehalt der Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit durch diese Änderung daher nicht als gefährdet», sagt Medienrechtler Andreas Meili. (Bild zVg)

Der Ständerat will, dass Gerichte Medienberichte künftig einfacher stoppen können. Medienschaffende und Medienhäuser befürchten, dass ihnen die Zähne gezogen werden könnten.

Doch wie stichhaltig sind diese Befürchtungen aus juristischer Sicht? Der Klein Report sprach mit Andreas Meili über die geplante Vereinfachung der superprovisorischen Verfügung. Der Zürcher Rechtsanwalt ist unter andrem spezialisiert auf Medienrecht.

Geht es nach dem Willen des Ständerats, soll beim Artikel 266 der Zivilproszessordnung (ZPO) zu den «Massnahmen gegen Medien» die Hürde für vorsorgliche Massnahmen gegenüber Medienberichten gesenkt werden. Rechtsverletzungen durch Berichterstattung müssen demnach nicht mehr einen «besonders schweren Nachteil», sondern nur noch einen «schweren Nachteil» verursachen, um richterliche Massnahmen gegen eine Veröffentlichung zu ermöglichen.

Als wie gross schätzen Sie den Einfluss ein, den diese Änderung auf die Gerichtspraxis konkret haben würde?
Andreas Meili
: «Der Wegfall der Anforderung ‚besonders‘ legt die Hürde für den Erlass vorsorglicher Massnahmen gegen periodisch erscheinende Medien etwas tiefer als gemäss bisherigem Recht. Während bisher nur qualifizierte schwere Verletzungen der Persönlichkeit des Gesuchstellers ausreichten, um eine vorsorgliche Massnahme anzuordnen, genügen neu auch Verletzungen, die zwar immer noch schwer, aber eben nicht besonders schwer wiegen.»

Können Sie ein paar Beispiele nennen für «besonders schwere» Persönlichkeitsverletzungen?
Meili: «Besonders schwere Verletzungen liegen zum Beispiel vor, wenn der falsche Eindruck erweckt wird, es laufe gegen den Gesuchsteller ein Strafverfahren, oder bei Verletzungen der Intim-, Geheim- und Privatsphäre, also zum Beispiel, wenn bei Unternehmungen über deren Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse oder bei einer natürlichen Person über ein aussereheliches Verhältnis oder ihren Gesundheitszustand berichtet werden soll.»

Und welche Fälle könnten gemein sein, wenn das Wörtchen «besonders» gestrichen werden würde?
Andreas Meili: «Neu können zum Beispiel auch Verletzungen reichen, die die Berufsehre des Betroffenen verletzen, die jedoch aufgrund des Ausmasses der Verbreitung in einem auflagenstarken Medium schwer wiegen. Die Praxis wird zeigen, welche Fallkategorien darunter fallen.»

Nicht wenige Journalisten und Journalistinnen befürchten, dass die Änderung Tür und Tor öffnen würde für ein vorschnelles Stoppen missliebiger, kritischer Recherchen. Man spricht von einem «Maulkorb-Artikel». Können Sie diese Ansicht teilen?
Meili: «Ich würde den Effekt, den der Wegfall des Wortes ‚besonders‘ für die Medien haben wird, nicht überschätzen. Denn es wird ja immer noch eine schwere Persönlichkeitsverletzung vorausgesetzt. Zudem stellt Art. 266 ZPO auch in der neuen Formulierung weitere Voraussetzungen für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen auf, die alle kumulativ erfüllt sein müssen – nämlich, dass für die drohende Rechtsverletzung offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt und die Massnahme nicht unverhältnismässig sein darf. Alle Voraussetzungen zusammen werden, falls sie vom Massnahmenrichter sorgfältig geprüft werden, auch weiterhin verhindern, dass künftig leichtfertig vorsorgliche Massnahmen gegen Medien angeordnet werden. Ich sehe den Kerngehalt der Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit durch diese Änderung daher nicht gefährdet.»

In anderen Bereichen ist nach geltendem Recht nur der Nachweis eines «schweren Nachteils» nötig, um vorsorgliche Massnahmen erwirken zu können. Weshalb hat der Gesetzgeber die Medien privilegiert?
Andreas Meili: «Vorsorgliche Massnahmen bewirken in der Regel ein Publikationsverbot, solange die Massnahme andauert. Es handelt sich also um eine Art private Vorzensur, die die wichtigen Grundrechte der Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit tangieren. Der Gesetzgeber, aber auch das Bundesgericht, räumt diesen sogenannten Kommunikationsgrundrechten und den Medien, die sie im Interesse der Öffentlichkeit wahrnehmen, eine besondere Bedeutung ein. Zu deren Schutz hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen bewusst hoch angesetzt.»

Und was hat sich geändert oder müsste sich ändern, dass es gerechtfertigt wäre, diese Privilegierung aufzugeben?
Meili: «Die Internetmedien ermöglichen es, persönlichkeitsverletzende Inhalte dauerhaft zu verbreiten und sie ihren Nutzerinnen und Nutzern überall auf der Welt, rund um die Uhr und zeitlich unbegrenzt, zur Verfügung zu stellen. Damit nehmen die Gefahren für die von solchen Publikationen Betroffenen graduell zu, so dass auf ihrer Seite ein grösseres Schutzbedürfnis geltend gemacht wird.»

Hand aufs Herz: Muss die Superprovisorische vereinfacht werden?
Andreas Meili: «Aus meiner Sicht ist die Gesetzesänderung aus Sicht der Betroffenen zwar verständlich, aber nicht notwendig. Das bisherige System war gut austariert.»