Alle Medien, die News liefern, sind auf die Meldungen von Nachrichtenagenturen und insbesondere von Keystone-SDA angewiesen. Doch ist darauf wirklich Verlass?
Die Redaktionen müssten sich auf die Agenturmeldungen verlassen können, sagt der Schweizerische Presserat. Trotzdem sollten Journalistinnen und Journalisten vor der Veröffentlichung «mitdenken», schreibt Presserat-Vize Jan Grüebler in einem am Donnerstag publizierten Editorial.
So hat zum Beispiel blue News eine Agenturmeldung von Keystone-SDA übernommen und mit entsprechender Kennzeichnung veröffentlicht: «Die Zürcher Kantonspolizei hat den Absender der Bombendrohung verhaftet. Es handelt sich um einen 44-jährigen Schweizer», hiess es in der Meldung.
Doch hat die Polizei den falschen Mann verhaftet, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Das Swisscom-Portal hat also grob danebengegriffen: Die Meldung war inhaltlich falsch, und sie hat auch die Unschuldsvermutung geritzt, so die Einschätzung des Presserats.
Doch wer ist schuld an dem Fehler? Die beim Presserat eingegangene Beschwerde richtete sich gegen Keystone-SDA, und das Selbstkontrollgremium hat auch die Nachrichtenagentur gerügt.
Doch kann sich blue News nicht mit dem Hinweis aus der Affäre ziehen, dass die Meldung nicht inhouse produziert worden sei. Das Portal hätte gemäss Presserat vor dem Veröffentlichen «mitdenken dürfen», wie es Jan Grüebler zurückhaltend formuliert.
Denn verhaftet werden dürfen nur Personen, gegen die ein begründeter Tatverdacht besteht. In der Bundesverfassung heisst es klar und einfach: «Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.»
Ein zweites Beispiel kommt aus dem Tessin: Dort hat das Online-Portal tio.ch einen kurzen Agenturtext publiziert. Darin hiess es, laut der Hamas habe Israel 80 Leichen von Palästinensern gestohlen und ihnen die Organe entnommen. Dieser schwerwiegende Vorwurf wurde ohne Überprüfung oder Hinterfragen übernommen.
Doch wer hätte das überprüfen müssen? Nach der Praxis des Presserats dürfen Meldungen von professionellen Nachrichtenagenturen ungeprüft übernommen werden. Da sich die Beschwerde nicht gegen die Agentur richtete, hat sich der Presserat in diesem konkreten Fall auch nicht mit einer allfälligen Rüge gegen die Agentur befasst.
Da sie nicht Teil des Beschwerdeverfahrens war, konnte die Agentur zur Kritik nicht Stellung nehmen. Und ohne Stellungnahme des kritisierten Medienunternehmens rügt der Presserat nicht, im Sinne des Grundsatzes «Anhören bei schweren Vorwürfen».
«In der Verantwortung stehen trotzdem nicht nur die Agenturen, sondern auch die Redaktionen. Es ist eine Kernaufgabe des Journalismus, zu verhindern, dass sich Falschinformationen und Desinformation verbreiten», so der Vizepräsident des Presserats weiter.
Solche Meldungen würden nicht nur der betroffenen Redaktion schaden, sondern dem Journalismus als Ganzes.
Die Meldung mit den geraubten Organen ist bei der italienischen Nachrichtenagentur Ansa noch heute zu finden.