Der Umgang von Journalisten mit Personen, die mit besonders schweren Vorwürfen konfrontiert sind, muss besonders hohen Ansprüchen genügen, wie der Schweizer Presserat am Dienstag bei der teilweisen Gutheissung einer Beschwerde gegen den «Tages-Anzeiger» einmal mehr festgehalten hat. «Angebliche oder tatsächliche Fehler bei besonders schweren Vorwürfen ist eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich der Presserat zu befassen hat», sagte Präsident Peter Studer am Dienstag gegenüber dem Klein Report. Der ehemalige Chefredaktor des Zürcher «Tages-Anzeigers» und des deutschsprachigen Schweizer Fernsehens tritt auf Ende dieses Jahres nach sieben Jahren als Presseratspräsident zurück und verfügt darum über eine entsprechend grosse Erfahrung.
Im konkreten Fall hatte der «Tages-Anzeiger»-Mitarbeiter Hugo Stamm von «erfundenen Satansritualen» geschrieben und den beiden Leiterinnen einer christlich geführten therapeutischen Wohngemeinschaft vorgeworfen, drei Patientinnen manipuliert zu haben und unprofessionell und naiv gehandelt zu haben. Dabei sei es ihnen nicht ermöglicht worden, sich gegen diese Anschuldigungen zu wehren, trotz eines dreistündigen Gesprächs mit dem Journalisten und Sektenspezialisten. «Sie sind mir immer ausgewichen und haben sich hinter angeblichen Interessen ihrer Patientinnen versteckt», rechtfertigte sich Hugo Stamm gegenüber dem Klein Report. Das Verdikt des Presserats sei für ihn «absolut unverständlich und weltfremd», er sei «irritiert und befremdet», und er könne die Presserats-Stellungnahme «nicht ernst nehmen», sagte er.
Trotzdem hielt Presserats-Präsident Studer gegenüber dem Klein Report an der teilweisen Gutheissung der Beschwerde der beiden Heimleiterinnen fest. «Es zeigt sich oft im journalistischen Alltag, dass die gröbsten Vorwürfe erst im Laufe einer Recherche hervorkommen, wenn man vielleicht mit den Adressaten dieser Vorhalte schon einmal gesprochen hat, wenn auch nur über leichtere Anschuldigungen», sagte er. Es sei darum unabdingbar, diesen Personen in einem solchen Fall ein weiteres Mal die Gelegenheit zu geben, sich zu den Hauptvorwürfen zu äussern, auch wenn sie es bei früherer Gelegenheit abgelehnt hatten, Stellung zu nehmen. Ähnlich hat sich der Presserat auch vernehmen lassen, als die «NZZ am Sonntag» über die verunglückte Herzoperation am Zürcher Universitätsspital berichtete und es dabei unterliess, den verantwortlichen Chirurgen ein zweites Mal um eine Stellungnahme zu bitten.
«Tages-Anzeiger»-Chefredaktor Peter Hartmeier betonte gegenüber dem Klein Report, dass er weiterhin «nicht den geringsten Zweifel» an Hugo Stamm und seiner journalistischen Qualifikation habe. Die Presseratsstellungnahme werde in der Chefredaktion und unter den Ressortleitern diskutiert werden, es gebe deswegen aber keine neuen Recherchier-Richtlinien. «Wir bleiben bei unseren bisherigen hohen Massstäben», unterstrich er. - Die Stellungnahme im Wortlaut: http://www.presserat.ch/23210.htm und http://www.presserat.ch/22560.htm (Fall Turina/NZZaS)
Dienstag
17.07.2007