Die Schweiz steht in der Kritik, ihre Pressefreiheit den Interessen des Bankenplatzes zu opfern. Am Donnerstag und Freitag fand in der Wirtschaftskommission des Nationalrats eine Anhörung dazu statt. Der Klein Report hat bei der Bankiersvereinigung nachgehakt.
Artikel 47 des Bankengesetzes besagt, dass Journalisten Daten aus einer Bankgeheimnisverletzung nicht weitergeben dürfen. Zuwiderhandlungen werden mit nicht unzimperlichen Strafen geahndet.
Seit der Publikation der «Suisse Secrets» durch mehrere ausländische Medien – Tamedia stand wegen des «Maulkorb-Artikels» abseits –, flaut die Kritik nicht ab, dass das Bankengesetz die Pressefreiheit durchlöchere.
Medienleute sprechen von einer «Vorzensur», die ihre Wirkung bereits vor der berühmten «Schere im Kopf» entfalte, nämlich bei Themensetzung und Recherche, also lange bevor auch nur irgendein Buchstabe aufs Papier kommt.
Im März nahm sogar die Uno-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Kahn, die Schweiz ins Visier und protestierte bei Aussenminister Ignazio Cassis. Der Bundesrat versicherte letzte Woche nun, dass das Gesetz im Parlament nochmals geprüft werde.
Die internationale Aufmerksamkeit zeigte ihre Wirkung. Über Nacht landete das Geschäft auf der Traktandenliste der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats, die sich nun am Donnerstag und Freitag getroffen hat.
Herr Barfuss, Sie arbeiten als Leiter Legal & Compliance bei der Schweizerischen Bankiersvereinigung (SBVg). War Ihr Verband bei der Anhörung in der Kommission dabei?
Andreas Barfuss: «Ja.»
Wie ist denn die Haltung des SBVg zu dem umstrittenen Artikel 47 des Bankengesetzes?
Barfuss: «Das Bankgeheimnis ist ein Bankkundengeheimnis und soll die finanzielle Privatsphäre der Bankkundschaft schützen. Die Grenzen sind auch klar: Die zuständigen Behörden können beim Verdacht auf Verstösse gegen die Rechtsordnung den Persönlichkeitsschutz und damit auch das Bankgeheimnis jederzeit durchbrechen und auf die relevanten Informationen zugreifen.»
Und wenn wir auf den umstrittenen Artikel 47 des Bankengesetzes, den das Parlament vor ein paar Jahren verschärft hat, heranzoomen, wie ist die Haltung der Banken da?
Andreas Barfuss: «Bei der parlamentarischen Initiative aus dem Jahr 2014 ging es nicht um eine Beschneidung der Pressefreiheit, sondern darum, den Verkauf von Bankkundendaten zu bestrafen. Man wollte dem Handel mit gestohlenen Bankdaten respektive der Datenhehlerei Einhalt gebieten. Denn bei jedem Datendiebstahl ist nicht auszuschliessen, dass nicht nur die für eine Recherche interessanten Fälle offengelegt werden. Betroffen können auch etliche Datensätze von völlig unbescholtenen Privatpersonen sein.»
Ist die Einschränkung der Pressefreiheit demnach also einfach eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Folge?
Barfuss: «Es geht darum, den Balanceakt zu schaffen zwischen dem Schutz der Privatsphäre einerseits und der Pressefreiheit beziehungsweise dem öffentlichen Interesse anderseits. Dabei gilt es zu beachten, dass ein Rechtsstaat wie die Schweiz bereits über Instrumente und Behörden verfügt, um allfälliges Fehlverhalten zu adressieren: Es gibt die Strafverfolgungsbehörden, die auf Geldwäschereifragen spezialisierte MROS sowie die Finanzmarktaufsicht Finma. Diese Behörden sind damit beauftragt, Missstände zu untersuchen, aufzuklären, zu sanktionieren und dabei auch die Rechte der Betroffenen zu wahren. Es ist nämlich nicht unproblematisch, wenn je nach Berichterstattung die in einem Rechtsstaat üblichen Prozessschritte übersprungen werden und es zu einer medialen Vorverurteilung kommt.»
Artikel 47 des Bankengesetzes soll nach Willen des Bundesrates im Parlament nochmals geprüft werden. Wie steht die Bankiersvereinigung gegenüber einer allfälligen Lockerung dieses Datenweitergabe-Verbots?
Andreas Barfuss: «Wie die optimale Balance zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit aussieht, ist eine staatspolitische Frage, welche nur vom Gesetzgeber beantwortet werden kann. Das heutige Bankgeheimnis schützt die Privatsphäre des Kunden und nicht die der Bank. Recherchen über allfälliges Fehlverhalten der Bank sind also durchaus möglich, allein die Identität der Bankkunden darf nicht offengelegt werden.»
Nochmals konkreter: Könnte sich die Bankiersvereinigung damit einverstanden erklären, wenn Ausnahmeregelungen im Fall überragender öffentlicher Interessen ins Gesetz geschrieben würden?
Barfuss: «Es ist eine staatspolitische Frage, welche nur vom Gesetzgeber beantwortet werden kann. Es sollte nicht vergessen werden, dass das Strafrecht für das Dilemma zwischen Strafbarkeit und Aktivitäten im öffentlichen Interesse bereits ein entsprechendes ‚Ventil‘ kennt.»
Was meinen Sie damit?
Andreas Barfuss: «Das Bundesgericht hat wiederholt die ‚Wahrnehmung berechtigter Interessen‘ als Rechtfertigungsgrund genannt. Entscheidend dafür ist, dass die Tat als ‚notwendiges und einzig mögliches Mittel zur Erreichung eines berechtigten Ziels‘ erscheint. Der Täter muss also sicherstellen, dass er sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Alternativen ausgeschöpft hat, der Gang an die Öffentlichkeit somit ultimo ratio ist.»