Amerikas Zeitungen bereiten sich auf die Endphase des Wahlkampfs vor, und dazu gehört traditionell das so genannte Endorsement eines Präsidentschaftskandidaten, also eine öffentliche Empfehlung der Zeitung, welchen der beiden sie für geeigneter hält. Viele der kleineren Blätter haben in den vergangenen Wochen bereits ihre Meinung kundgetan, und mit dem Votum der «New York Times» für John Kerry werfen nun auch die dominanten Zeitungsmacher Amerikas ihr Gewicht ins Rennen, wie die «Welt» am Donnerstag schreibt.
Nach einer Statistik des Fachmagazins «Editor & Publisher», die nach dem «Times»-Votum am Sonntag erschien, führt John Kerry nun mit 45 Zeitungs-Empfehlungen, die eine Gesamtzahl von 8,7 Millionen Lesern erreicht. George Bush konnte die Zustimmung von 30 Zeitungen mit einer Auflage von 3,3 Millionen gewinnen. Zu den Kerry-Unterstützern gehören neben der «Times» und dem «Boston Globe» eine Reihe wichtiger Blätter in den noch unentschiedenen Swing-Staaten Florida, Ohio und Minnesota (darunter der «Miami Herald», «The Acron Beacon Journal» und «The Minneapolis Star Tribune»). Auf der Seite von George Bush stehen die mächtige «Chicago Tribune», «The Arizona Republic» und die «Dallas Morning News». Die beiden grössten Zeitungen der USA, das «Wall Street Journal» und «USA Today», geben traditionell kein Votum ab.
Drei Zeitungen, die «Tampa Tribune», die «Wichita Falls Times-Record» in Texas und das «Winston-Salem (NC) Journal», die sich vor vier Jahren für George Bush ausgesprochen hatten, wollen in diesem Jahr keinen Kandidaten unterstützen. Die Journalisten in Tampa begründeten ihre Position mit den Worten, sie befänden sich in einer moralischen Zwickmühle, «die vor vier Jahren unvorstellbar» gewesen sei. Allerdings konnten sie sich auch für John Kerry nicht erwärmen. Dagegen sprach sich die Heimatzeitung des Präsidenten, «The Lone Star Iconoclast» im texanischen Crawford, mit der Überschrift «Kerry wird Amerikas Würde wiederherstellen» für den Demokraten aus. Mit einschneidenden Folgen: Die wöchentlichen Verkaufszahlen am Kiosk fielen nach einem Leserboykott von 920 auf 482.
Die Tradition der Zeitungs-Empfehlungen geht zurück bis ins späte 18. Jahrhundert, als jedes der Blätter noch als Sprachrohr für eine politische Partei galt. Die Entscheidung darüber wird von den Editorial Boards der jeweiligen Zeitungen getroffen, in der Regel einer Handvoll leitender Redaktoren der Kommentarseiten, wobei der Verleger selbst häufig das letzte Wort hat. Dabei kommt es mitunter zu heftigen Debatten zwischen den Entscheidungsträgern. Die «Washington Post» etwa, deren Endorsement noch mit Spannung erwartet wird, hatte seit Beginn des Irak-Kriegs eine beinah unumstössliche Pro-Bush-Position eingenommen. Doch mit den zunehmend schlechten Nachrichten aus Irak distanzierten sich mehr und mehr Autoren des Editorials von Bush. Dazu kommt, dass die «Post» in Sachen Sozialpolitik eher auf der Seite der Liberalen steht und traditionell einen demokratischen Kandidaten unterstützt. «Die Post wird höchstwahrscheinlich ein langes und lauwarmes Editorial für Kerry veröffentlichen», schätzt Harry Jaffe vom lokalen Magazin «The Washingtonian». «Aber wird es die Wahl auch beeinflussen?»
Diese Frage stellen sich Amerikas Kommunikationswissenschaftler seit Jahren mit zunehmenden Zweifeln. Laut einer aktuellen Umfrage gaben 83% der Befragten an, es würde für sie «keinen Unterschied machen», welchen Kandidaten ihre lokale Zeitung empfiehlt. Selbst die Kandidaten hegen ihre Zweifel. Ein Redaktionsbesuch beim «Milwaukee Journal Sentinel» im Swing-Staat Wisconsin, den John Kerry geplant hatte, um für das Endorsement zu werben, wäre fast abgesagt worden, nachdem der Chefredaktor angedeutet hatte, es werde wahrscheinlich keine Empfehlung geben. Und auch Gail Collins, Chefin der Editorial Pages bei der «New York Times», gibt zu: «Ich glaube nicht, dass jemand, der den gleichen Job wie ich hat, der Illusion erliegt, dass die Leute ihre Meinung ändern, wenn sie unser Endorsement lesen.»
Donnerstag
21.10.2004