Nach der Festnahme des libyschen Machthabers am 20. Oktober 2011 zeigten Online-Newsportale und Printmedien aussergewöhnlich blutige Aufnahmen des schwer verletzten, später des toten Muammar al-Gaddhafi. Der Presserat hat am Dienstag in einem Urteil erklärt, warum «20 Minuten Online» im Gegensatz zur «20 Minuten»-Printausgabe in ihrer Berichterstattung Gaddhafis Menschenwürde verletzt hat.
«Die Frage, ob die Medien Aufnahmen von der Leiche eines brutal getöteten Diktators verbreiten dürfen, beantwortet der Presserat mit Ja. Aber auch wer die Menschenwürde anderer nie respektiert hat, darf nach seinem Tod nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die seine eigene Menschenwürde verletzt», hiess es im Urteil.
«Die Printausgabe des Gratisblatts druckte zwei der Fotos relativ kleinformatig, online aber waren immer wieder neue Bilder zu sehen, teilweise stark vergrössert, später auch diverse Videos der Misshandlung Gaddhafis», erinnerte der Presserat. Zwei Leser hätten sich daraufhin beim Presserat beschwert, die Fotos der «brutale(n) Exekution eines zum Todeszeitpunkt wehrlos ausgelieferten Menschen» seien menschenunwürdig - «egal, was man von Gaddhafi als Mensch oder als Politiker halten will». «20 Minuten» und «20 Minuten Online» argumentierten dagegen, die Bilder seien historische Dokumente, welche «das definitive Ende des Machtregimes von Gaddhafi» festgehalten hätten; es überwiege das öffentliche Interesse an der Publikation gegenüber dem Recht auf Totenruhe.
«Ein historisches Ereignis wird nicht dadurch historischer, dass es aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt und durch Zoom-Technik nahe an den Betrachter herangeholt wird», urteilte am Dienstag der Presserat. «Eine unverhältnismässige, sensationalistische Berichterstattung bedient bloss die öffentliche Neugier des Publikums, die nicht mit öffentlichem Interesse gleichzusetzen ist», rügte er. Das Foto- und Videoangebot über Misshandlung und Tod von Muammar al-Gaddhafi auf «20 Minuten Online» habe deshalb gegen die Menschenwürde verstossen. «`20 Minuten` dagegen hat mit seinen visuell deutlich zurückhaltenderen Berichten über den Tod von Gaddhafi die `Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten` nicht verletzt», so der Presserat.