Man staunt immer wieder, wie hausbacken viele Parteien in Wahlkämpfen kommunizieren. Dies zeigte eine Veranstaltung in Basel, an der Wissenschaftler und Praktiker miteinander ins Gespräch kamen. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
«Wie gewinnt man Wahlen?», hiess die Frage, der sich Wissenschaftler und Praktiker an einer Veranstaltung in Basel stellten. Sie wollten Wahlen als Diskursanlässe näher beleuchten. Die Aktualität war gegeben: Die kantonalen Wahlen in Baselland, Zürich, Luzern und im Tessin sowie die bevorstehenden eidgenössischen Wahlen boten und bieten zuhauf Umsetzungsmöglichkeiten.
Jens Tenscher, der eine Vertretungsprofessur an der Universität Augsburg innehat, analysierte die Europawahlen in Deutschland, Österreich, Schweden und Finnland. Die Europawahlen gelten als «Nebenwahlen», für die sich die Parteien und die Wahlberechtigten nicht so stark interessieren wie für die nationalen Parlamentswahlen. Da aber die formalen Rahmenbedingungen in allen Ländern der Europäischen Union dieselben sind, lassen sie sich gut vergleichen. Tenscher untersuchte die Kampagnenstrukturen (wie finanzielle und personelle Ressourcen, Kompetenzverteilung, Kampagnendauer) und die Kampagnenstrategien (bei denen es mehr um die Massnahmen und Botschaften geht). Dabei stützte er sich auf statistisches Material sowie auf Gespräche mit 28 Kampagnen-Managern der einbezogenen Parteien.
Im Ergebnis zeigte sich, dass die Kampagnenstrukturen und - nicht so eindeutig - auch die Kampagnenstrategien in Deutschland und Österreich auf einem höheren Niveau sind als in Schweden und Finnland. Die grösseren Parteien sind in allen vier Ländern professioneller, aber wahlstrategisch sind die kleineren besser als die mittleren. Die Regierungsparteien sind professioneller als die Oppositionsparteien, aber die ausserparlamentarischen Gruppen sind moderner als jene Oppositionsparteien, die bereits im Parlament sitzen. Die rechten Parteien sind nicht professioneller als die linken. Und die Unterschiede zwischen den Parteien innerhalb der Länder sind grösser als die Unterschiede zwischen den Ländern. Die mittelgrossen Oppositionsparteien treten recht hausbacken auf.
Stefanie Knocks von der Universität Bern und Marianne Fraefel von der Berner Fachhochschule hatten im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht, wie Kantonalparteien in Wahlkämpfen mit ihren Mitgliedern und Anhängern kommunizieren. Sie stützten sich auf Mitgliederbefragungen und Gespräche mit Wahlkampfmanagern von Parteien in den Kantonen Aargau, Neuenburg und Bern, in denen 2009 und 2010 Wahlen stattgefunden hatten. Die Forscherinnen bezeichneten die Parteikommunikation als «Schuss in den Nebel», denn die Parteien beliefern breit sämtliche Kommunikationskanäle, weil sie nicht genau wissen, welche die Anhänger nutzen. Diese hingegen wollen von ihrer Partei auf keinen Fall durch Hausbesuche oder Telefonanrufe «gestört» werden. Umgekehrt wünschen sich auch solche Parteisympathisanten einen Newsletter, die bisher keinen bekommen. Schlecht abgeholt werden die Leute über die Websites; es findet nur ein geringer Austausch statt. Auf einem Zehntel der Parteien-Homepages finden sich überhaupt keine Informationen über die Wahlen. Nur 40 Prozent enthalten Kampagnenmaterial. Ein Viertel der Parteianhänger bewegt sich in den Social Media, was sich als Multiplikator auswirkt.
Genau diese Social Media beleuchtete Professor Andreas Elter von der Macromedia Hochschule in Köln. Er nahm Websites der Parteien und der Spitzenkandidaten in den Landtagswahlen von Nordrhein-Westfalen und Hamburg unter die Lupe. Dabei zeigte sich, dass beispielsweise der Spitzenkandidat der Linken in Nordrhein-Westfalen nicht einmal über eine Homepage verfügt. Die Interaktion ist nur bei den Grünen gut. Sonst verfügen die Parteien kaum über Wikis, reagieren inhaltlich schwach, bieten komplizierte Anmeldeverfahren und pflegen die Verweise statt den Diskurs. Auch hier zeigt sich also viel Hausbackenes.
Auf dem anschliessenden Podium, das die Kölner Medienprofessorin und Journalistin Marlis Prinzing leitete, sassen zwei Praktiker und ein weiterer Wissenschaftler: als Praktiker Marc Balsiger, Wahlkampfberater und Verfasser der Bücher «Wahlkampf in der Schweiz» und «Wahlkampf - aber richtig», sowie Klaus Kirchmayer, grüner Kantonsparlamentarier in Baselland und Wahlkampfmanager des neu in die Regierung gewählten Isaac Reber; als Wissenschaftler Professor Andreas Ladner, Parteienspezialist und Soziologe an der Universität Lausanne.
Langfristig geplant, passend zum jeweiligen Kandidaten, nah bei den Leuten und mit Fokus auf das, was die meisten nicht von vornherein vermuten - auf diesen Nenner brachte Kirchmayer den Wahlkampf für Reber - und den grossen Erfolg: «Wir müssen keinem sagen, dass einer, der für die Grünen kandidiert, an die Umwelt denkt. Wir haben uns also darauf konzentriert, zu vermitteln, wie viel er von Wirtschaft versteht» - und damit seine Wählbarkeit für viele erhöht. Balsiger hält für Kandidaten viele Ratschläge bereit, die die Chancen erhöhen, bekannt und gewählt zu werden; einen Königsweg gebe es nicht. In den USA gehen Kandidaten gezielt ins Unterhaltungsfernsehen, um Wähler anzusprechen; auf die Schweiz lässt sich das nur von Fall zu Fall übertragen. Fragen, wie viel Stimmenprozente ein Auftritt bei «Giacobbo/Müller» bringe, kann er nicht beantworten - und manchem, der dann verkrampft sein würde, müsse man dringend abraten.
Andreas Ladner verwies noch auf einen Unterschied: Professioneller Wahlkampf beschränke sich auf Spitzenpositionen in kantonalen und nationalen Wahlen; auf kommunaler Ebene finde man oft gerade so viele Kandidaten, wie Mandate zu vergeben sind. Ladner prophezeit einen Umbruch: Bald werde neben dem Kandidatentest per Smartvote ein flächendeckendes e-Voting möglich. Dadurch verlagere sich der Wahlkampf mehr denn je ins Internet. «Wir stellen uns bereits darauf ein. Und wir sehen da Chancen», freute sich Kirchmayr; denn die «Klientel» der Grünen, dies bestätigen Studien, sei im Internet mehr zu Hause als die Wähler vieler anderer Parteien.
Die Veranstaltung war eingebettet in die Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM). Hauptthema war dieses Jahr die Bildkommunikation. Daneben tagten die Fachgruppen Methoden, Publikums-, Rezeptions- und Wirkungsforschung, Medienpolitik und Medienstrukturen, Journalismusforschung, Mediensoziologie und Medienpädagogik, Medienlinguistik sowie Politische Kommunikation mit eigenen Panels. Präsident der SGKM ist weiterhin Vinzenz Wyss, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Neu zur Vizepräsidentin wählte die Generalversammlung Diana Ingenhoff, Professorin an der Universität Freiburg.