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Samstag
27.05.2006

Reality-Sendungen im Fernsehen haben eigentlich ausgedient - nicht aber in London. In der britischen Hauptstadt macht derzeit eine besondere Art von Live-Sendung von sich reden. Im Stadtbezirk Shoreditch können die Einwohner neuerdings von der Wohnzimmercouch aus rund um die Uhr beobachten, was bei ihnen auf den Strassen so los ist. Per Direktleitung werden die Aufnahmen von 400 öffentlichen Videokameras auf die Fernsehbildschirme von Shoreditch übertragen. Die Gemeindeverwaltung will mit dieser vor wenigen Tagen gestarteten Aktion die Verbrechensrate senken. Eingängiger Slogan des Überwachungssystems: «Kämpfe vom Sofa aus gegen Kriminalität.»

Die Bilder der angeschlossenen Kameras wechseln alle 30 Sekunden. Dazu bietet Shoreditch TV seinen 20 000 potenziellen Nutzern auch gleich noch eine Fotogalerie mit Namen und Konterfei all derjenigen, die wegen unsozialen Verhaltens oder kleinerer Delikte derzeit unter Polizeiaufsicht stehen. Wer also etwas Auffälliges sieht, kann gleich nachsehen, ob die beobachtete Person schon registriert ist. Unabhängig davon können die Sofa-Detektive jederzeit anonyme E-Mails an die örtliche Polizei schicken. «Die Polizei findet das wirklich gut», versichert Projektmanager Atul Hatwal. «Erstmals können die Menschen der Polizei helfen. Sie können sofort online melden, wenn irgendwo randaliert wird, jemand sein Auto falsch parkt oder sich einfach nur schlecht benimmt.»

Weniger positiv sehen Bürgerrechtler die Entwicklung. «Letztlich kann jeder Einwohner seinem Nachbarn hinterherspionieren», klagt die Bürgerrechtsbewegung Statewatch: «Das fördert rachsüchtiges Verhalten.» Und die Menschenrechtsorganisation Liberty befürchtet, dass vor allem junge Leute immer wieder zur Polizei bestellt werden. Längerfristig werde es eine nicht zu kontrollierende Bürgermiliz geben, die per Fernsehen alles und jeden überwache. Diese Vorwürfe will die Mitte-links-Regierung von Shoreditch nicht gelten lassen. Die Kameras seien schliesslich nur auf öffentliche Plätze und Strassen gerichtet, nicht auf Privatgrundstücke, sagt Hatwal. «Man sieht durch die Kameras nur Dinge, die man als normaler Fussgänger auch sehen würde.»