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Freitag
21.10.2011

Was machten die Parteien im Wahlkampf falsch? Welche Rolle spielten die Medien? Und warum kam keine rechte Wahlkampf-Stimmung auf? Eine Analyse von Roger Blum für den Klein Report.

Lau sei er gewesen, der Wahlkampf, sehr lau, finden Kritiker. Es sei kein Wunder, dass nur die Hälfte der Stimmberechtigten an der Wahl teilnehmen wolle. Was lief falsch?

An den Positionsbezügen der Parteien kann es nicht liegen. Sie arbeiteten ihre Profile deutlich heraus - sehr seriös die FDP mit Positionspapieren zu elf Themenbereichen und mit Faktenblättern voller gut lesbarer Statistiken und Grafiken, sehr gründlich die Grünen mit einer 22-seitigen, auf fünf Bereiche konzentrierten Wahlplattform, breit die SP mit kenntnisreichen Dossiers zu 18 Themen. Die SVP (fünf Bereiche) erhob klare Forderungen. Die CVP (vier Bereiche) versteht ihr Programm als Wahlvertrag. Die EVP richtete den Blick auf sechs Themen, die BDP auf drei. Einzig die Grünliberalen blieben in ihren Aussagen spröde und wenig konkret. Aus all dem folgt, dass der Vorwurf nicht stimmt, die wichtigen Parteien hätten sich um gewisse Themen gedrückt und inhaltliche Aussagen verweigert. Gerade auch zur Europa-Politik äusserten sich die Parteien klar. Die Frage ist, ob es ihnen gelang, diese Positionen auch zu vermitteln.

Die politische Kommunikation vor Wahlen verlangt von den Parteien, dass sie ihre Botschaften unverfälscht, glaubwürdig und verständlich vermitteln können. Diesmal sorgten einheitliche Logos, Parteikürzel und Farben im ganzen Land für eine Corporate Identity der Parteien. Die Parteien schöpften auch die medialen Möglichkeiten vielfältig aus: Websites, Videos, Youtube, Facebook, Twitter. Doch das, was ihr Profil inhaltlich ausmacht, kam in den Werbeauftritten zu wenig zur Geltung. Zwar pochten die Kandidierenden in ihren Reden und Debattenauftritten durchaus auf ihre unterscheidbaren Positionen. Aber Websites, Plakate, Inserate und Wahlprospekte machten diese Unterschiede zu wenig deutlich. Denn wie soll man aus Slogans wie «Für eine lebenswerte Schweiz», «Aus Liebe zur Schweiz», «Keine Schweiz ohne uns» oder «Schweizer wählen SVP» ablesen, wofür genau die jeweilige Partei steht? Einzig die SVP hat mit ihren Plakaten gegen die Masseneinwanderung auch optisch deutlich gemacht, worum es ihr geht. Die FDP hätte statt ihrer langweiligen Schrift-Plakate besser jene hübsche Karikatur aufs Plakat gesetzt, die in einem ihrer Faktenblätter enthalten ist und die Christoph Blocher und Toni Brunner zeigt, wie sie die Brücke zerstören, über die der Schweizer Zug auf dem bilateralen Weg weiterfahren muss (www.fdp.ch/images/stories/Dokumente/Factsheets/FDP_Faktenblatt_Aussenpolitik_d.pdf).

Dies alles hilft erklären, warum der Wahlkampf als lau empfunden wurde. Die Parteien haben ihre eigenen Positionen zu wenig bildhaft umgesetzt und zugleich die Argumentationsschwächen der jeweils anderen Parteien nicht wirklich aufgedeckt. Sie haben sich nicht sichtbar mit der Konkurrenz befasst. In den vergangenen Wahlkämpfen hatte die SVP noch verächtlich von «den Linken und den Netten» gesprochen, sie hatte ein gerupftes Huhn gezeigt und getextet: «Das haben wir den anderen Parteien zu verdanken.» Diesmal hieb sie nur auf die Ausländer ein und nicht auf die Konkurrenten im Wahlkampf. Auch gab es keinen Alpaufzug der SVP durch Zürich und keine Gegenmanifestation der SP wie 1995, keine Strassenschlachten gegen die SVP wie 2007 in Bern und keine Verschwörungstheorie. Es gelang nicht, die Wahl zur Richtungswahl hochzustilisieren. Dies hätte vorausgesetzt, dass im Volk eine Stimmung der Angst und der Erregung entstanden wäre, in der die Menschen befürchtet hätten, die Schweiz ginge unter, wenn die jeweils andere Seite die Wahlen gewinnt.

Welche Rolle spielten in diesem Wahlkampf die Medien? Welche Verantwortung trifft sie? Zunächst fällt auf, dass die Medien den Wahlkampf lange und intensiv begleitet haben. Es sind Hunderte von Radio- und Fernsehsendungen ausgestrahlt, Tausende von Artikeln publiziert worden. Den Medien muss attestiert werden, dass sie die Wahl des Parlaments als wichtig einstuften und ihr Publikum dazu bringen wollten, es ebenfalls so zu sehen. Die Medien waren auch fantasiereich. Sie haben den Wahlkampf zum Ereignis gemacht. Dazu trugen Aktionen bei wie «Treffpunkt Bundesplatz» der SRG - eine gigantische Inszenierung von Politik im Dienste der Demokratie -, wie der Wahlkampfbus der «Aargauer Zeitung», gesteuert vom Chefredaktor, wie die locker aufgezogenen Kandidatenporträts auf «POLIMAG» von Star-TV oder das Wahlmobil von Newsnetz («Tages-Anzeiger», «Bund», «Basler Zeitung», «Berner Zeitung»). Die Ergebnisse der Wahlmobil-Besuche bei Kandidierenden waren dann per Video zu besichtigen (www.tagesanzeiger.ch/wahlen2011/wahlmobil/).

Wie immer haben die Medien vor allem über «Politics» berichtet, also über das politische Gerangel, die Schachzüge, die Allianzen, die Diadochenkämpfe, die Meinungsumfragen, die Taktik. «Polity», das politische System, war seltener das Thema, immerhin publizierte die «Neue Zürcher Zeitung» eine ganze Serie über die Konkordanz. Und der «Policy», den Politikinhalten, widmeten die Medien mehr Raum als auch schon. Die Themen des Wahlkampfes, auch jene, von denen die SVP behauptete, sie würden von den anderen Parteien und den Medien verschwiegen, kamen durchaus zur Sprache - in Interviews, in Streitgesprächen, in redaktionellen Artikeln, in Radio- und Fernsehdiskussionen. Zumindest die Fragen haben die Medienleute gestellt. Man kann sie nicht dafür verantwortlich machen, dass die Politiker diese Fragen manchmal elegant umschifft haben.

Im Vorfeld von Wahlen sind Radio und Fernsehen gehalten, die Parteien fair zu behandeln. Dies bedeutet, dass sie nicht einzelne Parteien krass bevorzugen und andere diskriminieren dürfen. Interessant ist, dass in der Wahlberichterstattung auch Printmedien auf Ausgewogenheit achten, obwohl kein Gesetz sie dazu verpflichtet. In diesem Wahlkampf war es keineswegs so, dass die Medien polarisierten, weil sie vor allem die Pol-Parteien, also die SVP und die SP, berücksichtigten. Dennoch gab es gewisse Ungleichgewichte, vor allem in Radio und Fernsehen: So wurden in den Wahlsendungen der SRG die Parteien, die bereits im Parlament vertreten sind, gegenüber den Nicht-Parlamentsparteien bevorzugt. Bei «Schawinski» wiederum waren zwei SVP-Kandidaten und je einer von SP, FDP und GLP zu Gast. Dass CVP-Präsident Christophe Darbellay nie Gesprächspartner war, ist ihm selber zuzuschreiben: Er wollte nicht.

Auch Privatsender huldigten den grösseren Parteien: Bei «Filippos Politarena» auf Sat.1 hatte die SVP 32 Prozent Anteil an den Hauptrednern, die SP 28 Prozent, die FDP 20 Prozent, die CVP 12 Prozent sowie die Grünen und die BDP je vier Prozent. Ausserdem war der Moderator, FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger, ja selber Kandidat. Bei «POLIMAG» auf Star-TV kamen sieben Kandidaten der SVP, drei der FDP, zwei der Grünen, zwei der SP, ein GSoA-Mann und die Piratenpartei zum Zug. Und dass «Teleblocher» im Schaffhauser Fernsehen durchgehend Propaganda für die SVP machte, versteht sich von selbst. In diesen Sendungen privater TV-Kanäle war die CVP am stärksten benachteiligt. Ziemlich ausgeglichen haben hingegen die Wahlmobil-Leute von Newsnetz Kandidierende besucht und ihnen Gelegenheit gegeben, in einer Minute ihre politische Botschaft zu verkünden.

Fazit: Die Parteien hatten eigentlich ihre Programm-Hausaufgaben gemacht, brachten aber ihre Botschaft kommunikativ zu wenig rüber. Die Medien waren zwar nicht durchwegs ausgewogen, vermittelten hingegen Politik auf vielfältige, unterhaltsame und informative Art und leisteten dadurch einen wichtigen Beitrag zum demokratischen Diskurs.