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Mittwoch
15.06.2005

«Die Zeitung als Medium hat eine Zukunft, allerdings wird sich der Zeitungsmarkt und mit ihr die Gattung Zeitung erheblich differenzieren», wagte der in Zürich lehrende Publizistikprofessor Otfried Jarren eine Prognose. Das bis anhin universelle, integrative Massenmedium Tageszeitung werde in differenzierter Form und für unterschiedliche Anspruchsgruppen publizistische Leistungen erbringen. Jarren sieht für die Zukunft drei Typen von Tageszeitungen: die Formatzeitung (kostenlose Verbreitung/Verteilung), die Regional-(Lokal-)Zeitung und die Elitezeitung.

Zurzeit wird aber oft noch mit Anpassungsstrategien, die bei den elektronischen Konkurrenzmedien abgeschaut wurden, versucht, die Krise zu bekämpfen. Es wird dabei am Leitbild einer Tageszeitung als Integrationsmedium (eine Zeitung für alle) festgehalten und mit neuen Bünden, Beilagen, kürzeren Texten, Infotainment, Bildern, Farben, Infografiken, Layout und Formatierung experimentiert. Mit diesen «Umbauarbeiten» gelingt aber erwartbar der Spagat zwischen den Ansprüchen verschiedener Nutzergruppen nicht: «Auf differenzierte Nachfrage wird undifferenziert geantwortet», erklärt Jarren den Verlegern. Die Anpassungsstrategie bleibt für den Professor nicht ohne Folgen. «Die Zeitung verliert durch diese schematische Anpassungsstrategie ihren Charakter als persönliches und privates Medium, für das man sich individuell entscheidet. Die Gattung Tageszeitung verliert durch diese `Umbauarbeiten` insgesamt an Profil.»

Zur Zukunft der Zeitung hat Otfried Jarren vier Thesen aufgestellt:
1. Die Tageszeitung ist ein Medium unter vielen für Rezipienten, Werber und Akteure zur Nutzung wie zur Verbreitung von Werbung und Informationen.
2. Die Tageszeitung in herkömmlicher Form wird an Auflage, Reichweite und Bedeutung einbüssen.
3. Die Tageszeitung wird ihre Bedeutung als universelles General-Interest-Medium partiell einbüssen.
4. Der Tageszeitungsmarkt wird sich (aus-)differenzieren: Es werden sich verschiedene Zeitungstypen mit unterschiedlichen publizistischen und werblichen Zielen herausbilden.

Bedingt durch die Differenzierungsprozesse im Markt der (Tages-)Zeitungen sieht Jarren in Zukunft die folgenden Zeitungstypen:
- Kostenlos verteilte Zeitungen zur Abdeckung gewisser Räume und/oder zur Erreichung sozialer Gruppen (Tages- und Wochentitel, Typ: Formatzeitung)
- Abonnement- und Kaufzeitungen mit einem ausgeprägten Regional- und Lokalprofil mit hohem lebensweltlichen und marktlichen Nutzen (Typ: Nutzwertzeitung)
- Abonnements- und Kaufzeitungen mit nationaler Ausstrahlung als «Elite»-Medium (Typ: Debatten- und Orientierungsmedium)

Den Verlegern empfiehlt Jarren einen Strategiewechsel. Statt Integration von speziellen Angeboten (für bestimmte Gruppen wie Jugendliche oder für bestimmte Themen durch Beilagen) in einen einzigen Zeitungstitel wird eine Differenzierungsstrategie innerhalb der Gattung Tageszeitung notwendig. Es braucht diverse Zeitungstypen und -formate im Portefeuille eines Medienhauses. Mit unterschiedlichen Zeitungstypen wird das Ziel der Abdeckung von Räumen und Gruppen integrativ angestrebt. Die neue Integration wird durch die Vernetzung von publizistischen Angeboten und Anzeigen zwischen verschiedenen Zeitungstypen möglich.