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Samstag
17.09.2005

Obschon sich Grossverleger Michael Ringier als «Verleger ohne Gratiszeitungen» am Verleger-Kongress in Interlaken ankünden liess, brachte er gleich zu Beginn seines mit Spannung erwarteten Referats eine kleine Bombe zum Platzen: «Ringier wird noch dieses Jahr in der tschechischen Hauptstadt Prag eine Gratiszeitung lancieren», kündete er an. Es sei nicht möglich, etwas nicht zu machen, das der Markt nachdrücklich verlange, begründete Ringier diesen Schritt, um den die Geschäftsleitung lange gerungen habe. Und um den Tamedia- und Edipresse-Verantwortlichen noch einige schlaflose Nächte zu bereiten, fügte er an, dies als «Trainingslager» für andere Märkte betrachten zu wollen.

Im Übrigen aber unterstrich Michael Ringier mit leidenschaftlicher Vehemenz sein Engagement für bezahlte Zeitungen - auch für die Boulevard-Zeitung. Das Fernsehen sei flüchtig, das Internet beliebig sowie teils unzuverlässig, und nur bei der Zeitung handle es sich um ein nachhaltiges und vertrauenswürdiges Informationsmedium. Damit sie diese Funktion weiterhin übernehmen könne, müsse sie allerdings hintergründiger werden und Zusammenhänge darstellen. Dies zwinge die Verleger dazu, stark ins Produkt zu investieren: «Es wird schwer, sehr schwer», betonte er, wenn die Zeitungen ihre heutige Position behalten wollen, und es brauche dazu 1. Inhalt, 2. Inhalt und 3. Inhalt.» Aus diesem Grund wiederholte er eine schon früher gemachte Aussage, dass die Verleger in die Aus- und Weiterbildung der Journalisten investieren müssten, da sie mehr nachdenken und weniger schreiben müssten - und das alles bei sinkenden Reichweiten. Sein mahnendes Schlusswort: «Die Zukunft wird härter, als es die Gegenwart verspricht.»

Trotzdem hat Michael Ringier seinen Humor nicht verloren. In sein sorgfältig gearbeitetes Referat hatte er verschiedene Scherze locker eingefügt. So erzählte er, am Vorabend den künftigen Verwaltungsratspräsidenten der Tamedia im Fitnessclub getroffen zu haben, wobei es diesem nicht gelungen sei, ein Gerät zum Funktionieren zu bringen. Ringier habe ihm daraufhin geholfen, «und jetzt kann Martin Kall nicht mehr als Einziger behaupten, die Tamedia zum Laufen gebracht zu haben», sagte er unter lautem Gelächter der Anwesenden. Etwas später stellte er die rhetorische Frage, was der Unterscheid zwischen zwei auf der Strasse liegenden Journalisten einer Boulevard- und einer Gratis-Zeitung sei: «Vor dem Boulevard-Journalisten hat es keine Bremsspuren», lautete die mit Geraune aufgenommene Antwort.