Als Barbara Walters vor einigen Tagen ankündigte, zum Monatsende die Komoderation von «20/20» nach einem Vierteljahrhundert aufzugeben, blieb das heuchlerische Aufschluchzen aus, das sonst das Verstummen berühmter Talking Heads begleitet. Die Meldungen in Zeitungen kamen einem höflichen Achselzucken gleich. Nicht nur weil Walters (74) sich beeilte zu versichern, dass sie ABC und ihren Bewunderern mit einem halben Dutzend «Specials» im Jahr und ihrer gehobenen Damenklatschshow «The View» zweimal pro Woche erhalten bleibe. Sondern weil die Zeit der majestätischen Hosts und Anchors der Network-Newsshows schon vor Jahren zu Ende ging. Manche erstickten am Kabel, alle an ihrer Eitelkeit. Walters macht keine Ausnahme.
Sie war einst Amerikas erste Frau am abendlichen Anchor-Desk und verdient den besonderen Respekt, der den Pionierinnen aus der sexistischen Vormoderne des Fernsehens vorbehalten bleibt. Ihr zäher Aufstieg begann als Reporterin für NBCs «Today Show», die sich im Selbstversuch für einige Tage als Playboy-Bunny versuchte und Skandal machte, weil eine Frau es wagte, Henry Kissinger und Anwar Sadat zu interviewen. Mit masochistischem Vergnügen erinnert sie sich, wie sich nach ihrem Wechsel zu ABC ihr beleidigter Partner Harry Reasoner strikt geweigert hatte, mit ihr «off camera» ein einziges Wort zu reden. In Zeitungen wurde Walters niedergemacht, weil sie 1 Mio. Dollar im Jahr verdiente. Bis heute kann sie sich über diese Missgunst ereifern. Damals jedenfalls habe sie jeden Abend in der Maske geheult und offenbar auf dem Schirm ein so bemitleidenswertes Bild geboten, dass sich die Zuschauer erbarmten und sie in ihr Herz schlossen. Besonders stolz ist sie auf ein Telegramm, das lautete: «Lass dich von diesen Bastarden nicht niedermachen.» Gezeichnet John Wayne.
Wie die Frau, die die L und R vernuschelt und sich in jungen Jahren Manierismen zulegte, die an Haftungsprobleme mit dritten Zähnen erinnern, über die Jahre zu jedermanns älterer Schwester, jüngerer Tante, endlich zur weich gezeichneten, fast faltenlosen Grosstante aufsteigen konnte, ist Fernsehgeschichte. Ihr Talent, Prominente zum Weinen zu bringen, nicht etwa durch Härte, sondern durch überströmende Rührung, ist legendär und oft beneidet worden. Walters brachte dieselbe Frauensolidarität und Küchentischvertraulichkeit zu ihren frühen Interviews mit Golda Meir wie in ihren späteren Gesprächen mit Hillary Clinton, Martha Stewart und - ihr Rekord, bezeugt 1999 von 48,5 Millionen Zuschauern - Monica Lewinsky. Anwar Sadat, Michael Jackson und Fidel Castro verfielen ihr. Mit dem schamlosen Vertrauen, das Patienten Krankenschwestern entgegenbringen.
Sie erinnert sich nicht, wann sie zum ersten Mal eine Berühmtheit zu Tränen rührte. Aber sie weiss genau, wie es zu schaffen ist: «Ich fange sehr häufig mit Fragen zur Kindheit an. Ich bin nicht Sigmund Freud, aber offenkundig machen uns Kindheitsprägungen zu dem, der wir sind. Welche Wirkung hatte die Scheidung auf Sie? Sie standen Ihrer Mutter sehr nah, wie war das mit Ihrem Vater?» Wenn man so mit Prominenten umgehe, statt sie nach ihrer Karriere zu fragen, steige häufig zarteste Ergriffenheit in ihnen auf und mache ihre Augen feucht. «Heute sage ich: «Unterstehen Sie sich und fangen an zu weinen. Ich will heute die Leute nicht (mehr) verletzen.»
Donnerstag
16.09.2004