Content:

Sonntag
18.06.2006

Ins Gerede gekommen ist der Österreichische Rundfunk ORF wegen des allzu offenen Einflusses der Politik nicht erst jetzt. Doch nur Monate vor der nächsten Parlamentswahl in der Alpenrepublik ist ein heftiger Streit um den Sender entbrannt. Dabei geht es um die Frage, ob die regierende Volkspartei (ÖVP) von Kanzler Wolfgang Schüssel es mit ihrem direkten Einfluss auf die Programm und Personalgestaltung am Wiener Küniglberg nicht etwas übertreibt. Unter dem Druck der Kritiker soll dies jetzt ein Untersuchungsausschuss prüfen. Der öffentlich ausgetragene Disput, über den die übrigen Medien nicht ohne Häme ausführlich berichten, schwappte sogar in den deutschsprachigen Gemeinschaftssender 3sat über: Auf Intervention des ORF musste ein für die vergangene Woche gedachter kritischer Beitrag der «Kulturzeit» über den Krach verschoben werden.

Im Mittelpunkt des Streits zwischen grossen Teilen der ORF-Redaktion und der Leitung des Senders stehen die seit 2002 amtierende Generaldirektorin Monika Lindner und ihr Chefredaktor Werner Mück. Er wird wegen seines Führungsstils von Redaktoren auch «Werner Beinhart» genannt. Seine Einflussnahme im Sinne der konservativen ÖVP geht nach Meinung seiner Kritiker weit über den früher üblichen Rahmen hinaus. Über seine Nähe zur Partei Schüssels schrieb die unverdächtige, weil ÖVP-nahe «Kleine Zeitung» aus Graz: «Selbst wohlmeinenden Konservativen ist von Werner Mücks Kanzlerfunk übel geworden.»

Die von ORF-Kritikern gegründete Gruppe SOS ORF wirft ihm nicht nur massive parteipolitisch motivierte Steuerung der Programmgestaltung vor. Vielmehr habe er sich «schwere Verletzungen des Redakteursstatuts» zu Schulden kommen lassen. Er sei ausgesprochen frauenfeindlich, hiess es bei der Tagung des Stiftungsrates, drohe aufmüpfigen Redaktoren mit einem «Karriereknick», würge Diskussion über ihm unliebsame Programme ab. ORF-Chefin Lindner wiederum wird beschuldigt, der Regierungspartei zu starken Zugriff auf die Programme zu gestatten. Höchst umstritten war auch die Teilnahme der 61-Jährigen an der Wahlkampf-Eröffnung der konservativen Volkspartei. Lindners Wiederwahl als ORF-Chefin steht im August an.

Jetzt hat eine «kleine Koalition» aus oppositionellen Sozialdemokraten, Grünen und der kleinen, rechten Koalitionspartei BZÖ von Jörg Haider die Einsetzung eines internen Ausschusses erzwungen, der die Vorwürfe untersuchen soll. Kritiker bemängeln, dass die Mitglieder des Gremiums von Lindner berufen werden. Mück selbst zeigte sich von der Untersuchung wenig beeindruckt: «Jede Überprüfung ist mir recht», sagte er der Nachrichtenagentur APA. «Da habe ich nichts zu befürchten. Im Gegenteil, pauschale Gerüchte werden als solche entlarvt, und es ist ja nicht gesagt, dass nur in eine Richtung untersucht wird.» Bereits am Montag soll erstmals ein «runder Tisch» zusammentreten, an dem die ORF-Führung mit ihren Kritikern diskutieren will. - Mehr dazu: Befreiungsversuch des österreichischen Fernsehens