Fünf Jahre nach dem spektakulären Mord am Journalisten Georgi Gongadse hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg die Ukraine verurteilt. Die jüngsten Ermittlungen um das Verschwinden Gongadses zeigten mit einem «hohen Grad an Wahrscheinlichkeit», dass Polizisten an seinem Tod beteiligt waren, stellte eine kleine Kammer des Strassburger Gerichts am Dienstag fest. Die ukrainische Staatsanwaltschaft habe nichts zum Schutz des Journalisten unternommen, obwohl sie von dessen Bedrohung gewusst habe.
Damit habe die Ukraine gegen das Grundrecht auf Schutz des Lebens verstossen. Die Regierung in Kiew wurde angewiesen, der in den USA lebenden Witwe 100 000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen. Der damals 31 Jahre alte Herausgeber der regierungskritischen Internetzeitung «Ukrainska Prawda» war Mitte September 2000 in Kiew verschwunden. Im November wurde seine enthauptete Leiche in der Nähe von Kiew gefunden.
Gongadses Witwe erhielt erst zweieinhalb Jahre später die offizielle Auskunft, dass es sich bei dem Toten um ihren ermordeten Mann gehandelt habe. Mit dieser Hinhaltetaktik hätten die Behörden den Hinterbliebenen «grosse Leiden» zugemutet, befand das Gericht. Damit liege ausserdem ein Verstoss gegen das Verbot von menschenunwürdiger Behandlung vor. Nach der «orangefarbenen Revolution» vom Dezember 2004 hatte der neue Präsident Viktor Juschtschenko versprochen, er werde Licht in die Affäre bringen. Am 1. März dieses Jahres erhob er schwere Vorwürfe gegen seinen Vorgänger Leonid Kutschma.
Drei Tage später wurde Kutschmas ehemaliger Innenminister Juri Krawtschenko in seinem Landhaus erschossen aufgefunden - wenige Stunden vor einem geplanten Verhör bei der Staatsanwaltschaft. Laut Behörden soll er Selbstmord begangen haben. Im September bezeichnete ein Untersuchungsausschuss des ukrainischen Parlaments Kutschma als Drahtzieher der Entführung und Ermordung Gongadses. Das Schicksal des 31-Jährigen ist kein Einzelfall: Dem Urteil des Menschenrechtsgerichts zufolge wurden zwischen 1991 und 2000 in der Ukraine 18 Journalisten ermordet. Siehe auch: Ukraine-Präsident der Journalisten-Entführung bezichtigt und Untersuchung zu Journalistenmord in der Ukraine läuft ins Leere
Dienstag
08.11.2005