Content:

Mittwoch
11.01.2012

Leiten Social Media wie Twitter und Facebook den Untergang des Nachrichtenjournalismus ein? Nein, lautete die Antwort an einer Tagung in Köln, guter Journalismus werde sogar wichtiger. Aber Twitter dient als Navigationssystem. Roger Blum berichtet für den Klein Report.

Wie verändern eigentlich Social Media die Öffentlichkeit? An der Tagung des Deutschlandfunks zum «Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt» in Köln analysierte Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg die Veränderung anhand von drei Thesen. Erste These: Mit den sozialen Medien werden persönliche Öffentlichkeiten geschaffen. Es gehe den Menschen, die sie nutzen, nicht um gesellschaftliche, sondern um persönliche Relevanz. Sie wendeten sich nicht an ein verstreutes, anonymes Publikum, sondern an erweiterte soziale Netzwerke. Es gehe ihnen nicht ums Publizieren, sondern um Konversation. Dabei können sie durchaus Inhalte liefern, die von Journalisten aufgegriffen werden, und sie greifen selber wiederum journalistische Inhalte auf, sagte Schmidt.

Seine zweite These lautete, dass Konversation und Publikation dank sozialen Medien verschmelzen und dass die Trennung von Sender und Empfänger verschwindet. Die dritte These besagte, dass die Infrastruktur für die neue Öffentlichkeit allerdings nicht öffentlich sei. Hinter den sozialen Medien stünden Unternehmen, die Verträge und Softwarearchitekturen gestalten. Die Kunden hätten Einfluss auf die Inhalte, aber nicht auf die Infrastruktur. Dies stehe im Widerspruch zur Demokratisierung der Öffentlichkeit, behauptete Schmidt.

Dass Social Media Inhalte liefern, die von Journalisten aufgegriffen werden können, belegte Paul Lewis vom britischen «Guardian» anhand der Stadtkrawalle in England. Lewis, der 2010 zum britischer «Reporter des Jahres» gekürt wurde, erzählte, man habe viel zu wenig Journalisten gehabt, um all die Unruhen «abzudecken». Dank Twitter habe man erfahren, wo etwas stattfinde und welche Fragen man in Interviews stellen sollte. Twitter wurde zum Navigationssystem.

Der «Guardian» hat die Unruhen zum Anlass genommen, um zusammen mit einer Stiftung und der London School of Economics and Political Science (LSE) umfassende Befragungen durchzuführen und die Proteste wissenschaftlich zu analysieren. Auch hier war Twitter hilfreich für die Erstellung der Fragebogen. Es seien riesige Mengen an Material zusammengekommen. Für Lewis zeigte sich an dieser Erfahrung, dass sich die Funktion des Journalismus auch insofern verändere, als er sich bei der Recherche auf viele gute Ratschläge von journalistischen Laien stützte. Professioneller Journalismus sei aber damit erst recht nötig und werde wichtiger denn je, betonte Lewis.