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Mittwoch
19.10.2011

Am Dienstag sorgte ein Presserat-Urteil für Aufsehen, das dem Recherchejournalismus des «Bieler Tagblatts» auf den ersten Blick ein nur knapp genügendes Urteil auszustellen schien. Es wurden von sieben Beschwerdepunkten, welche die Bieler Stadtregierung gegen die Lokalzeitung erhoben hatte, zwei gutgeheissen. Die Rüge wurde wegen eines Artikels, der sich - wie bereits mehrere vorangegangene Beiträge - kritisch mit der Leiterin des Bieler Amts für Erwachsenen- und Jugendschutz (EJS) auseinandergesetzt hatte, ausgesprochen.

Chefredaktorin Catherine Duttweiler relativierte das Urteil des Presserats am Dienstag gegenüber dem Klein Report: «Im `Bieler Tagblatt` sind insgesamt 78 Artikel über die unhaltbaren Zustände im Bieler Amt für Erwachsenen- und Jugendschutz erschienen. Nur gegen zwei dieser Artikel über das vormalige Vormundschaftsamt legte der Gemeinderat Beschwerde ein, wobei der Presserat nun bei einem Artikel zwei Punkte bemängelt hat», sagte Duttweiler. Diese Ungenauigkeiten bedauere sie. Der Journalist hatte unter Berufung auf mehrere unabhängige Quellen über den Revisor des Amts geschrieben, dass dieser ungenügend ausgebildet und «vorher mit seinem Restaurant in Konkurs gegangen» sei, obwohl er eigentlich sein Kleinhotel regulär liquidiert hatte; diesen Punkt stellte die Redaktion richtig, als sie davon erfahren hatte.

Andererseits hatte der Journalist nur telefonisch versucht, den Revisor für eine Stellungnahme zu erreichen - und nicht schriftlich per E-Mail oder Brief, wie der Presserat bemängelte. «Es ist weltfremd, von Tagesjournalisten zu verlangen, dass sie schriftliche Stellungnahmen einholen müssen», sagte Catherine Duttweiler gegenüber dem Klein Report. Der Revisor wurde im Artikel namentlich nicht genannt.

Die Chefredaktorin sagt weiter, die Recherche sei schwierig und aufwendig gewesen. «Unser Journalist hat den Fall während eines halben Jahres immer wieder akribisch recherchiert. Dass er dabei eine falsche Aussage aufnahm, ist ein unschöner Fehler. Trotzdem handelt es sich gesamthaft um eine ausgezeichnete und folgenreiche Recherche, die für den Schweizer Medienpreis nominiert war», so Duttweiler gegenüber dem Klein Report. «Es war für meinen Mitarbeiter sehr schwierig, Auskünfte zu erhalten, weil in der entsprechenden Abteilung ein Maulkorb ausgesprochen worden war und die Vorgesetzten und politischen Verantwortlichen die Auskunft verweigerten.

Die Recherchearbeit des jungen Journalisten, der als Stagiaire monatelang immer brisantere Details aufdecken konnte, habe sehr viel bewirkt. «Ursprünglich waren Informanten an uns gelangt, weil sie über die Dauer von drei Jahren auf dem Behördenweg kein Gehör fanden. Wegen unserer Artikelserie hat die Stadt Biel dann zwei Untersuchungen angeordnet», erklärt Duttweiler. Noch am Tag, an dem die Untersuchungsergebnisse veröffentlicht wurden, gab die Amtsleiterin «im gegenseitigen Einverständnis» ihre Funktion ab, später musste auch der Vorsteher des Sozialdepartements dem Stadtpräsidenten sein Dossier abgegeben.

Wie aber schafft man es, als Lokalzeitung überhaupt eine so grosse Artikelserie aufziehen zu können? Catherine Duttweiler dazu: «Zuerst muss man sich in breiten Kreisen das nötige Vertrauen erarbeiten, damit Informanten überhaupt auf einen zukommen. Dann braucht es viel Knochenarbeit und Hartnäckigkeit», sagte die Chefredaktorin dem Klein Report.