Die seit März dieses Jahrs erscheinende erste Regionalausgabe des Zürcher «Tages-Anzeigers», die am linken Zürichseeufer und im Sihltal (Bezirk Horgen) erscheint, hat Probleme mit den Behörden einzelner Gemeinden. Diese begegnen dem publizistischen Neuankömmling im Revier mit Argwohn und enthalten ihm Informationen vor oder geben sie verspätet ab. Erstmals hat die Redaktion am Mittwoch diesen Konflikt an die Öffentlichkeit getragen: In einem Interview wirft der Soziologe Kurt Imhof in der Tabloid-Beilage den betroffenen Gemeinden vor, sie würden jene Medien benachteiligen, die nicht «in politische, religiöse oder sonstige Gemeinschaftskontexte eingebunden» seien. Auf umgangssprachliches Deutsch übersetzt könnte man auch von verlangter beziehungsweise verweigerter Hofberichterstattung oder von Mauschelei sprechen. Im Unterschied zu den alteingesessenen Regionalzeitungen vertrete der «Tages-Anzeiger» «ein ganz anderes publizistisches Selbstverständnis, das historisch relativ neu ist», formuliert es Imhof.
Konkret äussert sich die Haltung der Gemeinden Kilchberg, Rüschlikon, Thalwil, Hirzel und Schönenberg darin, dass sie das Angebot des «Tages-Anzeigers» ausschlagen, die amtlichen Anzeigen unentgeltlich abzudrucken. Stattdessen berücksichtigen sie nur die miteinander verbundenen Regionalzeitungen «Zürichsee-Zeitung» und «Thalwiler Anzeiger». Zudem seien es namentlich Kilchberg und Rüschlikon sowie teilweise Thalwil, die die «Tagi»-Konkurrenz mit Informationen bevorzugt behandeln, glauben die «Tagi»-Journalisten. «Interviewanfragen mit Exekutivmitgliedern sind in Kilchberg wiederholt abgelehnt worden», lautet ein Vorwurf im Regional-Supplement. «Die Behörden entschärfen auf diese Weise gewisse konfliktträchtige Themen», erklärte Regionalzeitungs-Teamleiter Daniel Bach am Mittwoch gegenüber dem Klein Report den Hintergrund dieser Haltung.
«Wir achten sehr sorgfältig darauf, alle Medien mit Informationen und Einladungen gleich zu behandeln», wehrte hingegen die Thalwiler Kommunikationschefin Heidi Egli den Vorwurf ab. Bezüglich amtlicher Anzeigen habe sich der Gemeinderat dazu entschieden, nicht auf das «Tages-Anzeiger»-Angebot einzugehen, weil es kaum möglich wäre, diesen Schritt rückgängig zu machen, wenn der «Tages-Anzeiger» den Gratis-Abdruck plötzlich nicht mehr gewährleisten würde. Der Entscheid sei allerdings «vorderhand», betonte sie abschliessend. Soeben hat die Tamedia die ursprünglich bis Ende dieses Jahres befristete Offerte bis Ende 2006 verlängert.
Die durch den Konflikt gewissermassen in den Verdacht einer Frère-et-Cochon-Haltung gekommene «Thalwiler Anzeiger»-Redaktion wehrt sich ebenfalls heftig gegen diese Unterstellungen. «Wir pflegen die Distanz zu den Behörden ganz bewusst und lassen uns auf keine Mauscheleien ein», beteuerte Chefredaktor Philipp Kutter am Mittwoch gegenüber dem Klein Report. Eine allfällige Bevorzugung durch gewisse Behörden erklärt er sich damit, dass «wir eben seit vielen Jahren da sind und uns die Leute sympathischer finden».
Der Konflikt gewinnt an Bedeutung, die über einen Dorfknatsch hinausgeht, weil die Regionalausgabe des Bezirks Horgen eine erste von einer ganzen Reihe von ähnlichen Publikationen sein soll. Wie im Modell der «Aargauer Zeitung» will auch der «Tages-Anzeiger» verschiedene Regionen mit derartigen Supplements bedienen, um deren Bevölkerung so an das Stammblatt zu binden. Denn es ist nicht möglich, die TA-Beilage separat zu abonnieren. Das TA-Produkt habe laut Daniel Bach seit seinem Start bei den Inseraten «eine relevante Steigerung» erzielt und auch bei den «Tages-Anzeiger»-Abos «etwas zugelegt». - Mehr dazu: Harziger Start für Tagi-Regionalausgabe, Keine scharfe Tagi-Konkurrenz zur «Zürichsee-Zeitung» und «Tages-Anzeiger» erstmals mit Regionalausgabe
Mittwoch
19.10.2005