Die Schweiz hat eine lange Tradition als Dokumentarfilmland. Der Klein Report unterhielt sich mit «DOK»-Redaktionsleiter beim Schweizer Fernsehen Christoph Müller über «DOK»-Erfolge, aber auch über Kritikpunkte an der Sendereihe.
Bereits seit 1977 prägt Christoph Müller das Informationsangebot des Schweizer Fernsehens. Er begann einst als Redaktor der Sendung «Karussell», war später beteiligt an der Neukonzeption von «Schweiz aktuell» und arbeitete für verschiedene Informationssendungen des Schweizer Fernsehens. Die Sendereihe «SF Spezial»-Sommerreisen führte ihn unter anderem nach Sibirien, Südafrika, in den Kaukasus und nach Australien. Er gestaltete mehrere Dokumentarfilme wie «Der König und sein Chef I und II» über den ersten Schweizer Lottomillionär Werner Bruni und betreut seit 2000 die Sendung «Reporter», bei der er auch einer der Hauptautoren ist. Seit 2008 ist Christoph Müller auch Redaktionsleiter von «DOK» und «Horizonte».
Klein Report: Wie sind Sie allgemein mit dem Erfolg der «DOK»-Reihe derzeit zufrieden?
Christoph Müller: Die beiden Filme über Suizid haben ein überwätligendes Publikums und Presseecho erzeugt. Die Marktanteile lagen zwischen 22 und 26 Prozent. Nicht schlecht für ein solch kontroverses Thema. Generell sind wir mit der Reaktion auf unsere «DOK»-Filme sehr zufrieden. Ich kenne keinen europäischen Mainstream-Sender, der so viele Dokumentarfilme so prominent platziert. Zudem hat das Genre der «DOK»-Serien und der «DOK»-Reiseserien eine starke Ausweitung erfahren. Einzelne Serien wie etwa «Auf und davon» oder «Von Kairo nach Kapstadt» haben höhere Marktanteile erzielt als alles, was vorher an diesem Programmplatz gezeigt wurde. Am Freitag um 21 Uhr, wo vorher Sendungen wie «Leben live» oder «Tag und Nacht» einen Marktanteil von rund 25 Prozent und weniger erzielten, vermögen die «DOK»-Serien jeweils zwischen 32 und 35 Prozent des Publikums zu fesseln. Das Pressecho ist in der Regel gut und die «DOK»-Autoren haben bisher in der Schweiz alle wesentlichen Auszeichnungen gewonnen.
Klein Report: Wie viele «DOK»-Filme sind pro Jahr eigenproduziert?
Müller: Wir produzieren 23 Dokumentarfilme, die wir am Donnerstag um 20 Uhr zeigen, dazu kommen ungefähr 30 Folgen verschiedener «DOK»-Serien, die am Freitag um 21 Uhr laufen, Serien im Sommerprogramm sowie zwischen Weihnachten und Neujahr. Zudem produzieren wir rund 35 Folgen der Reportageserie «Reporter».
Klein Report: Wie viele «DOK»-Filme werden pro Jahr im Ausland und bei Schweizer Filmemachern zugekauft?
Müller: Für das Primetime-Programm von «DOK» (Donnerstag 20 Uhr und Montag 22.50 Uhr) kaufen wir rund 65 Filme, dazu kommen noch ungefähr 120 Filme, die wir am Sonntagnachmittag in «Horizonte» zeigen.
Klein Report: Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, viele Dokumentation seien zuvor schon auf deutschen oder österreichischen Sendern ausgestrahlt worden?
Müller: Das stimmt teilweise. Wir kaufen unter anderem bei den deutschen Sendern ein, die die Filme natürlich zuerst zeigen. Zudem kaufen wir sehr viele Filme von den gleichen Anbietern wie die deutschen Kanäle, zum Beispiel von BBC. Die Exklusivität steht für uns dabei nicht im Mittelpunkt, weil die Dokumentarfilme auf deutschen und österreichischen Kanälen aber auch auf Arte in der Schweiz ein minimales Publikum haben.
Klein Report: Mit «Gipfelsturm der Veteranen» steht am Donnerstag einmal mehr eine spektakuläre Alpinismusdokumentation auf dem Programm. Wie kosten- und zeitaufwendig darf ein solcher Film sein?
Müller: Bei den Alpinismus-Filmen gibt es solche, deren Kosten sich in einem absolut durchschnittlichen Rahmen bewegen und nicht teurer sind als andere Eigenproduktionen. Zum Beispiel der Film über Ueli Steck. Daneben haben wir einige etwas aufwendigere Stoffe produziert; z.B. «Die Sherpas» oder neu «Die Bergretter am Himalaja», der an Weihnachten 2011 ausgestrahlt werden wird. Weil wir diese Filme aber mit anderen Anstalten koproduzieren, kommen sie uns nicht teurer zu stehen als unsere anderen Eigenproduktionn.
Klein Report: Auf welche «DOK»-Produktionen der vergangenen Jahren sind Sie am meisten stolz?
Müller: Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns gelungen ist, neben sehr populären Themen auch einige «schwierige» Stoffe an ein breites Publikum heranzutragen. Beispielsweise in den Filmen von Hansjürg Zumstein («Die Akte UBS», «Die Euro Krise») oder Karin Bauer («Der Asylchef und die Nigerianer», «Der Patron, die Krise und die Büetzer») oder die Filme über Suizid von Marianne Pletscher und Hanspeter Bäni.
Sehr erfreulich fand ich auch den Erfolg unserer «History»-Filme, die wir neu um 20 Uhr zeigen und nicht mehr spätabends verstecken. Sowohl der Film über das «Reduit national» wie auch jener über das «Gesundheitsparadies Schweiz» waren - zu meiner eigenen Überraschung - sehr erfolgreich. Zudem ist es uns in den vergangenen drei Jahren gelungen, verschiedene Dokumentarfilme von 90 Minuten Länge in der Primetime zu platzieren. Alle waren beim Publikum sehr erfolgreich.
Somit haben wir zumindest zwei Vorurteile widerlegt: dass Geschichte elitär sei und somit in den späten Abend gehöre und dass die Leute keine langen Dokumentarfilme im Fernsehen sehen wollen. Es versteht sich dabei von selbst, dass die Stoffe einfach, emotional und persönlich sein müssen. Oder so, wie wir es für «Reporter» formuliert haben: «Menschen, Schicksal, Abenteuer».
Klein Report: Glauben Sie, dass in unserer mit Reizen überfluteten Gesellschaft Dokumentarfilme auch in Zukunft noch ein Publikum finden werden?
Müller: Das ist ja das Erstaunliche. Die Dokumentarfilme im Schweizer Fernsehen haben in einer Zeit generell sinkender Marktanteile ihre Position halten können. Das ist eine eigentliche Erfolgsgeschichte: Wir haben heute genau gleich grosse Marktanteile wie vor drei oder vier Jahren. Zudem werden zu unserer Überraschung Dokumentarfilme über die neuen Medien sehr häufig konsumiert. Bei den Podcast-Downloads sind «DOK» und «Reporter» oft Nummer zwei hinter «Giaccobbo/Müller», der Suizid-Film «Tod nach Plan» bricht gerade alle Rekorde auf dem Internet und gewisse Filme wie «Gerhard Blocher» haben auf Youtube Kultcharakter erreicht. Auch damit wurden jene Internetgurus widerlegt, die die neuen Medien als eine Welt aus kurzen Schnipseln und schnellen Schnitten beschreiben. Nein: Die gut erzählte und spannende Geschichte schlägt offenbar auch in der digitalen Welt alle formalen Aufgeregtheiten!