Vergangene Woche ging in Berlin die Fachmedientagung B2B Media Days über die Bühne.
Der Klein Report sprach vor Ort mit Dorothee Schneider, Geschäftsführerin der Stämpfli Verlags AG, über die Herausforderungen des Büchermarkts unter dem Stern der künstlichen Intelligenz. Der Fachverlag in sechster Familiengeneration zählt 360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bern und Zürich, spezialisiert auf juristische Publikationen.
Hat sich die lange Reise nach Berlin gelohnt?
Dorothee Schneider: «Die Anreise von Bern hat sich für mich definitiv gelohnt. Neben den teils ausgezeichneten Beiträgen am Kongress ist für mich das Netzwerk interessant. Die deutschen Verlage stehen vor den gleichen Herausforderungen wie wir in der Schweiz, sind aber oftmals aufgrund der Marktverhältnisse unter noch grösserem Veränderungsdruck. Über die Landesgrenzen hinweg kann man sich zudem freier austauschen, da kein direktes Konkurrenzverhältnis besteht.»
Der Gastgeber mahnte in Berlin, die Geschäftsmodelle in unserer Branche würden entscheiden, inwieweit wir zu Mammuts oder Säbelzahntigern werden. Welches Tier dürfen wir der Stämpfli-Gruppe zuordnen?
Schneider: «Da diese beiden Tierarten seit mehreren 10’000 Jahren ausgestorben sind, ordne ich die Stämpfli Gruppe dort nicht ein. Wir können aber gerne bei der Analogie bleiben und unsere Unternehmensgruppe den von den Dinosauriern abstammenden Vögeln zuordnen: Wir wandeln uns seit mittlerweile über 225 Jahren mit den sich verändernden Marktanforderungen und Technologien. Aus der Luft behalten wir den Überblick und landen immer wieder in neuen Gefilden. Die Stämpfli-Gruppe entstand aus dem ‚Kalender-Regal‘, also dem obrigkeitlichen Recht, einen Kalender zu drucken. Den sogenannten ‚Hinkenden Bot‘ gibt es übrigens nach wie vor in unserem Programm. Heute verstehen wir uns als Kommunikationsunternehmen, das sich im Verlagsbereich auf juristische Medien spezialisiert hat.»
Welche Themen wurden konkret in Berlin angesprochen, die Ihrem Hause wirklich weiterhelfen werden?
Dorothee Schneider: «Das dominierende Thema war Künstliche Intelligenz/ChatGPT mit allen Facetten der Chancen, aber auch Risiken dieser Technologie. Im Bereich der Tools für interne Prozesse oder neue Kundenangebote gibt es unzählige Ideen, Start-ups, Geschäftsmodelle. Alles, was den Content betrifft, wird hingegen mit grosser Sorge betrachtet. Die Konsequenzen für das Urheberrecht sind völlig unklar, und das betrifft die Verlage im Kern ihrer Rolle.»
Wie meistert der Stämpfli-Verlag die anstehenden Herausforderungen durch KI?
Schneider: «Unserem Haus hilft wirklich weiter, dass wir in einem Beziehungsnetzwerk mit vielen Verlagen stehen und so den bevorstehenden Wandel gemeinsam gestalten zu können. Kooperation ist das Zauberwort und ich bin mit dem gestärkten Eindruck aus Berlin zurückgekehrt, dass viele Verlagshäuser verstanden haben, dass die bevorstehenden Herausforderungen nicht mehr alleine bewältigt werden können.»
Die digitale Transformation ist in Deutschland vorangeschritten, so dass nun die Fachverlage (mit über 5'500 Publikationen) einen grösseren Umsatz in Digital als Print verzeichnen und sich der Gesamtumsatz der Branche um 4,2 Prozent steigern konnte. Nach der Coronazeit konnte das Veranstaltungsgeschäft mit 46,3 Prozent Umsatzwachstum zudem wieder zunehmen. Wie teilt sich bei Ihnen der Umsatzkuchen auf?
Dorothee Schneider: «Unsere Digitalumsätze wachsen ebenfalls kontinuierlich an und machen mehr als die Printumsätze aus. Die Pandemie war hier ein grosser Treiber, ohne dass die Wachstumsrate nach der Pandemie wieder abgeflacht wäre. Trotzdem ist Print nach wie vor ein stabiler und wichtiger Umsatzträger und wird es unserer Einschätzung nach auch bleiben, was vor allem mit der Arbeitsweise unserer Kunden zu tun hat. Vergleichendes, vertieftes Lesen wird nach wie vor lieber auf Papier gemacht, schnelle Recherche hingegen digital. Wir erwarten, dass die unterschiedlichen Darreichungsformen nebeneinander Bestand behalten werden.»
Die Begrüssungsrede der Verbandssprecher an den Berliner B2B Media Days vermittelte ein pessimistisches Bild, was unter anderem die Qualitätssicherung der Fachmedien anbelangt. Einem Viertel der Kinder fehle nach der 4. Klasse das Leseverständnis und Deutschland sei jüngst aus den globalen Top 20 im Pressefreiheitsindex gerutscht. Wie sehen Sie im Vergleich hierzu die Rahmenbedingungen für Ihre Branche in der Schweiz?
Schneider: «Das Schweizer Bildungssystem steht im Vergleich zu Deutschland immer etwas besser da, was aber vielleicht schon durch den hier niedrigeren Anteil an Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erklärbar ist. Tendenziell beobachten wir selbst bei den Studierenden der Rechtswissenschaften ein verändertes Lernverhalten. Der Trend geht zu kürzeren Inhalts-Einheiten, oberflächlicheren Zusammenfassungen, ‚Bingelearning‘ vor Prüfungen. Das sind aber Veränderungen auf ganz hohem Niveau.»
Jeder zweite Deutsche sieht durch künstliche Intelligenz die Demokratie gefährdet. In Berlin hiess es zudem, die Buch- und Medien-Branche stünde vor der Herausforderung, den Kern ihrer Wertschöpfung zu bewahren. Ist für Ihr Haus KI eine Gefahr oder eine Chance?
Dorothee Schneider: «Wir sehen sowohl die Gefahren als auch die Chancen von KI. Chancen liegen für uns vor allem in personalisierten Angeboten, effizienterer Produktion, Verbesserung von Sucherlebnissen und Kostenoptimierung bei allen Prozessen. Die grosse Herausforderung besteht darin, das Urheberrecht zu schützen. Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf das Vertrags- und Honorierungsverhältnis zwischen Verlag und Autor oder Autorin, sondern vor allem auf die Frage, wie wir künftig transparent halten können, wer hinter dem Content steht und dafür bürgt. Gerade im Rechtsbereich ist das natürlich essenziell.»
Wie sehen Sie das Verhältnis von KI und Open-Access-Angeboten?
Schneider: «Eine konsequente Schutzmöglichkeit durch das derzeit etablierte Common-Licence-System scheint mindestens fraglich, denn erfahrungsgemäss werden Inhalte, die zugänglich sind, auch für KI-Anwendungen genutzt und weiterverwendet. Das widerspricht der Open-Access-Idee und kann dazu führen, dass Urheber ihre Inhalte doch lieber wieder hinter einer Paywall sehen möchten.»
Was ist die derzeit grösste Herausforderung der Schweizer Fachmedienbranche?
Dorothee Schneider: «Es fällt mir schwer, hier eine Rangfolge aufzustellen, weil die Herausforderungen alle zusammenhängen. Wir stehen vor der Herausforderung, gleich mehrere grosse Wandlungen zu meistern: den Medienwandel, die Digitalisierung und nun auch die künstliche Intelligenz. Das alles vor dem Hintergrund vielfältiger Krisen (Ukraine-Krieg, Energiekrise, Papierkrise) bis hin zu allgemeinen Wirtschaftsthemen, wie dem auch hier einziehenden Fachkräftemangel. Wir sind aber überzeugt, dass es immer qualitativ hochstehende, kuratierte Inhalte brauchen wird und wir im Bereich der Wissenschaftskommunikation eine gestaltende Rolle spielen werden.»
Als in Deutschland nach dem Relotius-Skandal der «Spiegel» sämtliche Texte seines Autors Claas Relotius aus dem Archiv nahm und nunmehr nur in kommentierter Fassung anbietet, hat sich Ihr Verlag entschlossen, im von Ihnen herausgegebenen Reportageband «Wellen schlagen» einen vermutlich verfälschten Relotius-Text als «Zeitdokument» ungeschwärzt im Buch zu belassen. Inwieweit ist der Schweizer Markt ein anderer als der deutsche?
Schneider: «Der Fall Relotius fand in der Weihnachtszeit 2018 statt. Unser Buch ‚Wellen schlagen‘ war bereits in Auslieferung. Wir hatten damals diskutiert, einen Errata-Zettel den noch nicht ausgelieferten Exemplaren beilegen zu lassen, wurden aber von der Entwicklung der Berichterstattung überholt, weshalb wir uns damals entschieden, auf unserer Website unsere Haltung zu kommunizieren. Ein deutscher Verlag hätte sich in dieser Situation wahrscheinlich nicht anders verhalten. Was in der Schweiz allerdings anders gehandhabt wurde als in Deutschland, ist die Nachbereitung dieser Geschichte. Die beiden Journalisten und Herausgeber des bei uns erschienen Buchs ‚Wellen schlagen‘ trafen sich im Jahr 2020 mehrmals mit Relotius und publizierten anschliessend hierzu ein Interview in den ‚Reportagen‘, damit sich die Leserinnen und Leser ein eigenes Bild machen können. Aus unserer Sicht ein vorbildliches Vorgehen für mündige Lesende.»