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Mittwoch
01.02.2012

Stützt sich ein schwerer Vorwurf auf eine amtliche Quelle, ist eine Anhörung des Betroffenen gemäss Presserat vor der Veröffentlichung nicht zwingend. «Verzichten sie ausnahmsweise auf eine Anhörung, haben Journalistinnen und Journalisten jedoch besonders sorgfältig darauf zu achten, dass sie keine wichtigen Informationen unterschlagen», hielt er bei der Beurteilung einer Beschwerde fest, die das Kantonsgericht Schwyz gegen den «Sonntagsblick» eingereicht hatte.

Im Juni 2011 kritisierte der «Sonntagsblick» das Kantonsgericht Schwyz und insbesondere den Kantonsgerichtspräsidenten harsch. Anlass dazu bot die umstrittene Haftentlassung eines geständigen Angeschuldigten, dem sexuelle Handlungen mit einem 13-jährigen, behinderten Mädchen vorgeworfen werden. Besonderen Anstoss erregte der Umstand, dass der Angeschuldigte weiterhin im gleichen Haus wie sein Opfer wohnt. Zudem kritisierte der «Sonntagsblick», der Kantonsgerichtspräsident habe bereits bei zwei Tötungsdelikten umstrittene Entscheide gefällt, aufgrund derer eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt worden sei.

Der Presserat heisst eine Beschwerde des attackierten Kantonsgerichtspräsidenten und des Kantonsgerichts Schwyz teilweise gut. Zwar bewege sich «die harsche, polemische Justizkritik des `Sonntagsblicks` grundsätzlich im weit auszulegenden Rahmen der Kommentarfreiheit». Auch hätte die Zeitung die Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung der sich teils auf amtliche Quellen stützenden und teils nicht neuen, massiven Kritik nicht zwingend anhören müssen.

Hingegen hätte der «Sonntagsblick» gemäss Presserat zwei wichtige Informationen nicht unterschlagen dürfen: «Zunächst, dass die umstrittene Haftentlassung nach Auffassung des Kantonsgerichts rechtlich unausweichlich war, weil gemäss der neuen gesamtschweizerischen Strafprozessordnung die Verlängerung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr nur möglich sei, wenn ein Beschuldigter bereits einschlägig vorbestraft ist», hielt der Presserat fest. «Zudem unterschlug die beanstandete Berichterstattung, dass die erwähnte parlamentarische Untersuchung das Verhalten des Kantonsgerichtspräsidenten als korrekt beurteilt hat», rügte der Presserat ebenfalls.