Was das Weltwirtschaftsforum für Davos, sind die Filmtage für Solothurn. Einmal der internationale wirtschaftspolitische Gipfel in den Bündner Bergen, ein andermal das nationale Stelldichein der Filmbranche an der Aare. Natürlich hinkt der Vergleich, doch eines haben beide Anlässe gemeinsam: Sie bringen Interessierte und Macher zusammen und sie finden ansehnlichen Niederschlag in der Presse - dort global, hier (in Solothurn) national. Gut, Davos hat noch seinen eisigen Spengler Cup, Solothurn aber immerhin auch seine Literaturtage. Diese Ereignisse bringen den Orten, so haben Marketingspezialisten längst festgestellt, mehr Bekanntheit und Imagewert als teure Werbekampagnen.
Die Stars in Davos sind Wirtschaftskapitäne und Staatsoberhäupter, in Solothurn sind es Filmer, Filme und vereinzelte Prominente wie Bundesräte und Bundesrätinnen sowie ein Star, dem ein Rencontre (eine Retrospektive) gewidmet ist. In diesem Jahr war dies die Schauspielerin Marthe Keller. Das macht die Werkschau des Schweizer Films sympathisch: Man kann der Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf ganz nahe sein, wenn sie sich auf dem Weg zum Eröffnungsdrink in Solothurn mit der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch austauscht.
In Solothurn sind inzwischen die Kinolichter im Landhaus und in der Reithalle ausgegangen. Ein wenig Winterschlaf, bis dann im Februar die Fasnächtler rumoren und die «Ambassadorenstadt» neu beleben. Vorweg ziehen die Filmtage eine positive Bilanz: neue Zuschauer-Rekordmarke und noch mehr Preise. Im Jahr eins nach Ivo Kummer, der immerhin persönlich und mittels «Kummerbox» präsent war, hat die neue Direktorin Seraina Rohrer für frisch-femininen Input gesorgt und ihren Job gut gemacht. Manches gibt es zu verbessern, das weiss sie und will es anpacken. Die Zusammenarbeit mit der Kritiker-Gilde ist gut angelaufen. Die Filmkritiker konnten erstmals ihren eigenen Preis verleihen und wurden zum Vorreiter des Dokumentarfilms «Vol spécial», der neben dem Preis der Schweizer Filmkritik gleich auch noch den «Prix de Soleure» gewann und für den Schweizer Filmpreis («Quartz») nominiert wurde.
Der Zuschauerzulauf steigert sich von Jahr zu Jahr. Das führt beispielsweise auch dazu, dass besagte Filmkritiker oft Zuflucht im Pressefoyer suchten, um gewisse Filme zu visionieren. Denn oft waren die Kinos Canva, Capitol oder Palace gänzlich verstopft. Besucherschlangen schmückten das Trottoir bei den Canva-Kinos oder die Gasse beim Landhaus. Das erforderte starkes Standvermögen für normale Filmfreunde, denn neben dem Eintrittsticket abends musste auch eine Platzreservierung ergattert werden. Das rief immer wieder Kopfschütteln und Diskussionen hervor.
Ein Solothurner Malheur: Das Ticketing war und ist trotz Online-Angebot unverständlich umständlich und ungenügend. Selbst normale Tickets fürs Kino Capitol beispielsweise konnte man erst 30 bis 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn kaufen, wenn überhaupt noch welche vorhanden waren. Die absurdeste Erklärung lieferte just in diesem Kino - es ging um den polnischen Spielfilm «Courage» - eine Kassiererin: Man wolle doch wie bei einem Filmfestival den Kartenverkauf handhaben. Dabei ist festzuhalten, dass die Filmtage kein Festival à la Locarno sind und man es den potenziellen Zuschauern doch so leicht wie möglich machen sollte, in die gewünschte Vorstellung zu kommen. Aber davon ist Solothurn noch ein gutes Stück entfernt. Mal sehen, welche Schlüsse die neue Direktorin, die sehr präsent und bereits morgens bei Gesprächen im Uferbau anwesend war, daraus zieht.
Übrigens, der beste Schweizer Spielfilm, nach Meinung des Berichterstatters, heisst «Courage» und wurde vom gebürtigen Warschauer Greg Zglinski, der inzwischen Schweizer ist, in Polen gedreht. In der Schweiz fand er keine Mittel zur Realisation. Es geht um zwei Brüder, die Opfer gewalttätiger Radaubrüder werden. Einen Verleih hat «Courage» auch noch nicht gefunden. Zu hart an der Wirklichkeit?
Fast möchte man es glauben, wenn doch die diesjährigen Filmtage stark von netten Heimatgefühlen und -bildern geprägt wurden - von «Alpsegen» über «Kampf der Königinnen» bis zu den «Wiesenbergern».