Wer Rang und Namen hat in der helvetischen Medienlandschaft, der pilgerte am Mittwochabend nach Winterthur. Im Casinotheater wurde der 29. Zürcher Journalistenpreis verliehen. Pünktlich um 19 Uhr begrüsste Stiftungsratspräsident Christoph Born mit einer launigen Rede die 200 Gäste im Saal. «Sie hats tatsächlich getan», zitierte der Rechtsanwalt eine Zeitungs-Schlagzeile zu einer der spannendsten Bundesratswahlen der Schweizer Geschichte. Und bat darauf die Frau ans Rednerpult, die mit «Sie hats tatsächlich getan» gemeint war: den Ehrengast des Abends, Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf.
Die Bündnerin holte gleich zur Medienschelte aus. Zu Beginn scherzte sie zwar noch - quasi reines Product Placement - von «pendlergerechter Redezeit von 20 Minuten», an die sie sich halten wolle. Und lobte die Zürcher Medien wegen ihrer «sehr guten Qualität». Um gleich darauf, wie sie sagte, «drei bescheidene Vorschläge» zu machen.
Die Stichworte dazu: Nicht der Konsument steht im Mittelpunkt, sondern der Gewinn. Die Presse als vierte Gewalt im Staat hat eine grosse Verantwortung und Qualität vor Spektakel.
Widmer-Schlumpf wetterte gegen Häppchen-Journalismus und Schlagzeilen ohne Ende, sie interessiere sich weder für die Schuhgrösse des neuen Mister Schweiz noch für die Probleme der Bauern, die eine Frau suchen, und staune zuweilen über das tiefe Niveau gewisser Meldungen, die dem Unterhaltungsauftrag verpflichtet seien. Das betreffe nicht nur die Print-, sondern auch die elektronischen Medien, sprich: die Internetseiten. Ihr Generalverdacht: Profilierungssucht, Suche nach Auflage und Einschaltquoten, was nicht dem Service-Public-Auftrag entspreche.
Als Beispiel dafür nannte sie die verallgemeinernde Verurteilungen des nicht handlungsfähigen Bundesrats, der zu keinen tragfähigen Kompromissen fähig sei. Dabei bedeute das politische System der Konkordanz in der Schweiz nichts anderes als Kompromiss, Respekt, Toleranz. Sie habe für den wirtschaftlichen Überlebenskampf vieler Verlage alles Verständnis, meinte die Bundesrätin. Aber reisserische Titel und Bilder gehörten heute zur Verpackung von Artikeln. Die seien heute teilweise wichtiger als der Inhalt, und die journalistische Qualität lasse dabei oft sehr zu wünschen übrig. «Sie haben Verantwortung den Bürgern gegenüber», diktierte die Bundesrätin den Medienleuten ins Notizbüchlein. «Kritisch, hochstehend, verantwortungsbewusst!» Um danach milde zu danken für die qualitiativen Infos für die Bevölkerung.
Stiftungsrätin Esther Girsberger überreichte der Magistratin nach der nicht sehr üppig beklatschten Rede einen Blumenstrauss und Sprüngli-Süssigkeiten, «aber keine Luxemburgerli, um politisch absolut korrekt zu sein», wie Girsberger scherzte.
Zum Scherzen aufgelegt war auch der Kabarettist Andreas Thiel, der gemäss eines NZZ-Verrisses ein «Lustknabe der Dichtergötter» ist. Evelyne Widmer-Schlumpf, in zirka drei Meter Entfernung sitzend, bekam dabei auch ihr Fett ab. Thiel («Satire ist nicht Comedy und nicht lustig; Satire ist wahr») teilte von Beginn an heftig aus. Erst mit träfen allgemeinen Sprüchen wie «Atheisten schauen in den Spiegel und glauben, was sie sehen» oder «Schwizertüütsch ist in meinem Programm nicht gut möglich. Vergleichen Sie doch mal den Satz `Ich habe eine Yacht im Yachthafen von Interlaken` mit `Ich han es Böötli uf em Thunersee...`.»
Um dann mit bösem Spott gegen Micheline Calmy-Rey («die Schweizer erschrecken, wenn sie ins Ausland reist, sie erschrecken aber noch mehr, wenn sie wieder zurückkommt»). Und Pascal Couchepin, gegen Sarkozy und Sex («anständige Menschen reduzieren nackte Frauen auf ihr Gesicht»).
Ein fiktives Interview mit Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf brachte einige Lacher, die der Kabarettist dann abrupt mit der Bemerkung beendete, der Rest sei nicht autorisiert. FDP-Nationalrätin Doris Fiala jedenfallsmit Ehemann Jan an der Seite war diejenige im Saal, die am lautesten lachte.
Gesichtet wurden unter vielen anderen: NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann, «Arena»-Moderator Reto Brennwald, Helen Issler (SF DRS), Publizist Karl Lüönd, Karin Müller (Radio 24), Ex-«Blick»-Reporter Seppi Ritler, Rechtsanwalt Urs Saxer, Kurt Schaad (SF DRS), Rainer Stadler (NZZ), Marie-Louise Stickelberger («Theater Zeitung»), Max Trossmann (freier Publizist), Ex-SI-Wirtschaftschef Harry Bredies, Jürg Wildberger (Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten) und Winterthurs Stadtpräsident Ernst Wohlwend.
Ebenfalls anwesend: Pietro Supino, Verwaltungsratspräsident Tamedia AG, Reini Weber, Reinhold Werbeagentur AG, Daniel Dunkel, Chefredaktor «Schweizer Familie», David Strohm «NZZ am Sonntag», Felix Aeberli, Zürcher Presseverein und von der «SonntagsZeitung», Chefredaktor Andreas Durisch und Armin Müller sowie Simon Bärtschi.
Donnerstag
07.05.2009