Die Privatfernsehsender in Deutschland sollen mit Anreizen dazu gebracht werden, mehr Verpflichtungen für die Gesellschaft zu übernehmen. Für die Umsetzung dient die Schweiz als Vorbild. Roger Blum berichtet für den Klein Report aus Berlin.
Der Medienforscher Wolfgang Schulz vom Hamburger Hans-Bredow-Institut präsentierte in Berlin an einem Symposium der deutschen Landesmedienanstalten ein Gutachten, das aufzeigt, wie durch vermehrte Anreize die Verpflichtungen der deutschen privaten Fernsehsender erhöht werden könnten. Das Gutachten war bestellt worden, weil in den Privatfernsehprogrammen nach wie vor die Informationssendungen einen geringen Anteil ausmachen, ja zum Teil sogar an Bedeutung verlieren. Die Studie ist als Buch erhältlich (Wolfgang Schulz/ Thorsten Held: Regulierung durch Anreize. Berlin: Vistas-Verlag 2011).
Schulz erwähnte folgende mögliche Verpflichtungen für die privaten Sender: Sie sollen bestimmte Inhalte anbieten, die Vielfalt sichern, werbefreie Phasen beachten und andere Regeln (etwa bei Wahlsendungen) einhalten. Als mögliche Anreize nannte er den privilegierten Zugang zu Infrastrukturen und Navigatoren, Erhöhung der Sichtbarkeit, Werbeerleichterungen und Geldleistungen. Sollten die politisch Verantwortlichen ein solches System des Gebens und Nehmens einführen, dann wäre eine strukturelle Evaluation nach Schweizer Vorbild nützlich, sagte Schulz. In der Schweiz werden alle privaten Radio- und Fernsehsender, die Gebührengelder beanspruchen, von Forschern unter die Lupe genommen und an Qualitätsmassstäben gemessen.
Die 14 Landesmedienanstalten, die in Deutschland die privaten Radio- und Fernsehsender beaufsichtigen, sind nicht ganz zufrieden damit, was der private Rundfunk für die Gesellschaft leistet. Wo der Hase im Pfeffer liegt, zeigte Professor Hans-Jürgen Weiss von der Göfak-Medienforschung in Potsdam auf. Die privaten Fernsehsender Deutschlands widmen höchstens zwei Prozent des Tagesangebots der politischen Information, ARD und ZDF immerhin zehn bis zwölf Prozent, sagte er. Erst wenn man die sonstige Sachinformation aus den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport sowie die Angstthemen und die Zerstreuungsthemen (beispielsweise Kochsendungen) dazurechne, nähere sich der Informationsanteil der Privaten dem Idealanteil von 30 Prozent. Bei ARD und ZDF sei mehr als die Hälfte der Information aktuell, bei den Privaten weniger als ein Drittel.
Umgekehrt wies Gerhard Graf von GGmedia München darauf hin, dass die Privaten die 14-29-Jährigen Zuschauerinnen und Zuschauer viel besser erreichen als ARD und ZDF. Und die Journalistikprofessorin Susanne Fengler von der Universität Dortmund bestätigte, dass sich die Mediennutzung stark differenziert hat. Obwohl das Fernsehen immer noch das wichtigste schichtübergreifende Medium sei, nehmen nur noch 14 Prozent der 14-29-Jährigen dieses Medium als informativ war, bloss 17 Prozent taxieren es als kompetent, lediglich 19 Prozent finden es glaubwürdig. Die Jungen schwören auf Online, sagte Fengler, massgebend seien Wikipedia, Youtube und Facebook, aber erstaunlicherweise schätzten die Jungen die Zeitung, die sie nur zu 26 Prozent nutzen, als glaubwürdiges, sachliches und kritisches Medium ein.
So kann man das Fazit ziehen, dass die unpolitischen privaten Fernsehsender im Unterschied zu den öffentlich-rechtlichen Kanälen die Jungen durchaus noch erreichen. Diese nutzen aber vor allem das Internet und halten die Zeitung für glaubwürdig, nicht aber das Fernsehen.
In drei Panelgesprächen, die den Präsentationen folgten, wurde klar: Die in den Ländern für die Medien verantwortlichen Exekutivpolitiker (Sachsens Staatsminister Johannes Beermann, Nordrhein-Westfalens Medien-Staatssekretär Marc-Jan Eumann) haben durchaus Vorstellungen, in welche Richtung man den staatlichen Regulierungsrahmen weiterentwickeln könnte.
Demgegenüber zeigten sich Medienpolitiker im Bundestag (Tabea Rössner von den Grünen, Thomas Jarzombek von der CDU/CSU) bemerkenswert uninformiert. Und das Urteil darüber, was die Fernsehsender leisten, ging zwischen Medienkritikern und Senderverantwortlichen deutlich auseinander: Während der Kulturjournalist Alexander Kissler eine Verblödung durch das Fernsehen beklagte, strich die RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt den Erfolg ihres Senders heraus. Kissler kritisierte die «industrialisierte Verächtlichmachung» im Fernsehen, sah aber auch «Eilande des Vernünftigen in Ozeanen des Sinnlosen». In seine Kritik bezog er die öffentlich-rechtlichen Sender durchaus mit ein. Er geisselte beispielsweise, dass das ZDF im «Heute-Journal» Videoclips zu Katastrophen zeigt. Schäferkordt wiederum äusserte sich skeptisch gegenüber den Absichten der Landesmedienanstalten. «Wir sind schon gut durchreguliert», sagte sie und empfahl, eher den Spielraum zu lockern, damit die Angebote des privaten Fernsehens auch in Zukunft möglich seien.