Gleich zweimal hat der Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg dem Schweizer Bundesgericht auf die Finger geklopft, das zwei Journalisten wegen «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» sowie wegen «Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses» verurteilt hatte. Das höchste Gericht der Schweiz habe Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt und «eine Art von Zensur ausgeübt», hielten die Strassburger Richter laut der am Dienstag veröffentlichten Urteilsbegründung fest.
Einstimmig hat die europäische Instanz dem «Blick»-Journalisten Viktor Dammann Recht gegeben, der im Zusammenhang mit dem Zürcher Fraumünster-Postraub 1997 eine Angestellte der Zürcher Staatsanwaltschaft um Angaben zu Vorstrafen von Verdächtigten ersucht und die Informationen erhalten hatte. Dies qualifizierten die Schweizer Gerichte als «Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses» und büssten den Journalisten mit 500 Franken. Das sei zwar ein geringer Betrag, das Urteil hätte aber die Betroffenen an künftiger Kritik oder weiteren Recherchen hindern können, hiess es jetzt in Strassburg. «Es wäre ja grotesk, wenn man eine korrekte Auskunft erhält und sich dann noch überlegen müsste, ob die Auskunftsperson allenfalls irgendwelche Pflichten verletzt habe», empörte sich Dammann gegenüber dem Klein Report nochmals über die Schweizer Justiz. Jetzt muss er ein Gesuch an das Bundesgericht richten, seinen Urteilsspruch aufzuheben. Dammanns abschliessende Bemerkung: «Ich habe den Plausch.» Das ihn betreffende Urteil ist auf http://www.echr.coe.int/Eng/Press/2006/April/ChamberjudgmentDammannvSwitzerland250406.htm zugänglich.
Der zweite Fall betrifft den Journalisten Martin Stoll, der im Januar 1997 in der «SonntagsZeitung» Auszüge aus einem als vertraulich klassifizierten Papier des damaligen Schweizer Botschafters Carlo Jagmetti in den USA veröffentlicht hatte. Das Dokument enthielt Strategien zur Lösung des Streits um die nachrichtenlosen jüdischen Vermögen. Jagmetti geriet wegen des darin verwendeten aggressiven Vokabulars unter Druck und trat wenige Tage später zurück. Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erstattete daraufhin Anzeige. Stoll wurde wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen zu 800 Franken Busse verurteilt. Auch dieses Urteil hat der Menschenrechtsgerichtshof als Verletzung der EMRK qualifiziert - allerdings nur knapp mit drei gegen vier Stimmen, wobei der Schweizer Luzius Wildhaber zur Minderheit gehört hatte. Das Thema der nachrichtenlosen Vermögen sei in den Medien breit diskutiert worden und habe die öffentliche Meinung gespalten. Die Öffentlichkeit habe ein legitimes Interesse daran gehabt, Informationen über die mit dem Dossier betrauten Akteure, ihren Stil und ihre Verhandlungsstrategie zu erhalten, hat jetzt der Menschenrechts-Gerichtshof entschieden.
Dienstag
25.04.2006