Mit der Preisverleihung und der Vorführung des japanischen Animationsfilms «Appleseed» auf der Piazza Grande ist am Samstagabend das 57. Filmfestival Locarno zu Ende gegangen. Die Bilanz des Grossanlasses ist einmal mehr positiv. Ein qualitativ ansprechender Wettbewerb und ein trotz regnerischem Wetter erneut grosser Publikumszuspruch prägten den Grossanlass. Mit insgesamt etwa 183 500 Zuschauern (Vorjahr: 190 000) verzeichnet das Festival zwar einen Besucherrückgang von etwa 3%, der auf das Konto der verregneten Piazza geht: Nur an drei der elf Piazza-Abende blieb es trocken. Die Kinos verzeichneten hingegen einen deutlichen Besucherzuwachs.
Direktorin Irene Bignardi hat in ihrem vierten Festivaljahr zur Routine auf hohem Niveau gefunden, ihr Wettbewerb mit 18 Filmen aus 17 Ländern war thematisch breit gefächert. Die Grosszahl der Filme beschäftigte sich mit aktuellen politischen Problemen, so etwa auch der Gewinnerfilm «Private» aus Italien. Deutlich heterogener präsentierte sich das Programm auf der Piazza Grande, das vom Politdrama aus Israel («The Syrian Bride») zur Politkomödie aus Spanien («Seres queridos»), zum Hooliganfilm aus Grossbritannien («The Football Factory») oder zur Schmonzette aus Frankreich («Dogora») Höhen und Tiefen kannte. Über die Preisvergabe an die Beiträge aus Italien, Deutschland, Japan und Iran herrschte allseits Zufriedenheit, obschon es mit «Yasmin» aus Grossbritannien (Preis der ökumenischen Jury) und «Forgiveness» aus Südafrika (Menschenrechtspreis) bei der Internationalen Jury zwei prominente Verlierer gab.
Mit dem 29-jährigen italienischen Regisseur Saverio Costanzo wurde einer der jüngsten Teilnehmer des Wettbewerbs ausgezeichnet. Sein Erstling «Private», der den Goldenen Leoparden gewann, ist ein geradezu typisches Beispiel für Bignardis Wettbewerb, der politisch engagiertes Kino mit einer Portion Human Touch zu verbinden wusste. Costanzo zeigt nicht nur politisch aktuelles Kino, sondern engagiert sich auch selbst, indem er mit palästinensischen und israelischen Darstellern gemeinsam drehte. Er widmete seinen Preis Palästinensern wie Israeli, und sein palästinensischer Darsteller Mohammad Bakri, der den Schauspiel-Preis gewann, rief ganz direkt zum Frieden im Nahen Osten auf. Bignardi zeigte sich besonders erfreut, dass «Private» zudem ein Film war, der den Menschenrechts-Stempel trug, mit dem dieses Jahr engagierte Filme quer durch alle Sektionen bezeichnet wurden. Sie sieht damit ihr «Human Rights Program» bestätigt, zu dem auch eine Videothek, Diskussionen und ein Menschenrechtstag gehörten.
Für den Schweizer Film war Locarno 2004 ein durchzogener Jahrgang. Mit dem in den USA entstandenen «Promised Land» des Tessiners Michael Beltrami zeigte die Schweiz einen umstrittenen und Diskussionen auslösenden Wettbewerbsbeitrag, der bei den Jurys aber ohne Chancen blieb. Die Schweizer Filme in den anderen Sektionen blieben im Hintergrund. Nicht über gefällige Unterhaltung hinaus gelangen die Dokumentarfilme «Nocaut» von Stefano Knuchel und Ivan Nurchis sowie «Ferien im Duett» von Dieter Gränicher. Positiv von sich reden machte immerhin der Spielfilm «Absolut» von Romed Wyder. Viel mehr als die Schweizer Filme gaben in Locarno die Äusserungen der Bundesräte Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey zum Film zu reden. Der EDI-Chef plädierte für ein Filmschaffen, in das sich die Politik nicht einmischen solle, während Calmy-Rey ihr Engagement in das politisch relevante Kino investiert sehen will.
Sonntag
15.08.2004