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Freitag
13.05.2011

Feierliche Übergabe der Henri-Nannen-Preise in Hamburg. Doch zwei Tage danach entzieht die Jury den Preis für die Reportage dem Geehrten wieder. Für den Klein Report kommentiert Roger Blum.

In der Jury für den Henri-Nannen-Preis, mit dem hervorragende journalistische Arbeiten ausgezeichnet werden, sitzt die Crème de la Crème der deutschen Printmedien - unter anderen Frank Schirrmacher (Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»), Kurt Kister (Chefredakteur der «Süddeutschen Zeitung»), Jan-Eric Peters (Chefredakteur der Welt-Gruppe), Mathias Müller von Blumencron (Chefredakteur des «Spiegels»), Helmut Markwort (Herausgeber von «Focus»), Giovanni di Lorenzo (Chefredakteur der «Zeit»), Andreas Petzold (Chefredakteur des «Sterns»), Ulrich Reitz (Chefredakteur der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung»). Eine Ansammlung geistiger Potenz.

Diese Jury entschied am 5. Mai, den Egon Erwin-Kisch-Preis, jenen für die beste Reportage, dem «Spiegel»-Redakteur René Pfister zuzusprechen für sein Porträt des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Am 6. Mai fand die feierliche Preisübergabe statt. Am 8. Mai beschloss die Jury, dem Gekrönten den Preis wieder abzuerkennen. Was war geschehen?

Der Preisträger hatte von sich aus mitgeteilt, im Keller des Ferienhauses von Horst Seehofer, wo der CSU-Vorsitzende seine Modelleisenbahnanlage betreibt, gar nie gewesen zu sein. Er hatte die Anlage in seinem Porträt beschrieben - aufgrund von Erzählungen Seehofers und anderer. Die Beschreibung erweckte den Eindruck, als sei der Autor dort gewesen. Grund für die Jury, den Preis zurückzunehmen. Nicht nur der Autor und der «Spiegel» reagierten erstaunt.

Was hat die Jury bloss geritten? Ist es die Angst, in gleiche Schwierigkeiten zu geraten wie die Universität Bayreuth, die die betrügerisch entstandene Dissertation Karl-Theodor zu Guttenbergs durchgewinkt hat? Ein Anlass dafür bestand mitnichten.

Reportagen leben von der Dramaturgie. Sie ertragen nicht, dass Journalisten etwas erfinden, was nicht belegt ist oder was sie nicht erlebt haben. Aber sie ertragen, dass die Autoren Szenen und Rechercheergebnisse auf effektvolle Art erzählen. Sie ertragen nicht, dass Personen der Zeitgeschichte mit Aussagen zitiert werden, die sie nie gemacht haben. Aber sie ertragen, dass Fakten, die andere erzählt haben, als Teil der Reportage dramaturgisch eindrücklich beschrieben werden. Reportagen sind immer beides: Recherche und Augenschein. Eine Reportage, die nur aus Augenschein besteht, hat zu wenig Tiefgang. Eine Reportage, die nur aus Recherche besteht, lebt nicht. Pfister hat ein Stilmittel benutzt, das die besten Reporter immer wieder verwendeten, nicht zuletzt der «rasende Reporter» Egon Erwin Kisch, das Vorbild für den Preis: Er hat Recherchiertes szenisch erzählt, ohne allerdings auch nur im Entferntesten irgendetwas über die Gestik und die Mimik Seehofers zu sagen, wenn er mit seiner Eisenbahn spielt. Er hat nichts als Rechercheergebnisse wiedergegeben.

Kein Grund deshalb für die Jury, den Preis abzuerkennen. Das Porträt bleibt ein gutes Porträt, eine preiswürdige Personenreportage. Die prominent besetzte Jury hat ganz einfach schlappgemacht.