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Montag
01.09.2025

Kino

«Gleich grosse Länder wie die Schweiz - Österreich und Dänemark - subventionieren ihre Filmbranche deutlich stärker», sagt der Zürcher Filmmacher... (Bild: zVg)

«Gleich grosse Länder wie die Schweiz - Österreich und Dänemark - subventionieren ihre Filmbranche deutlich stärker», sagt der Zürcher Filmmacher... (Bild: zVg)

Mehr als die Hälfte der Filmförderung des Bundes fliesst heute in die Administration, die seit den 1990er Jahren massiv ausgebaut geworden ist.

Der Klein Report sprach mit dem Zürcher Filmproduzenten und Regisseur Samir über die Kulturpolitik seit den 1970er Jahren, die zunehmende Bürokratisierung seit den 1990er Jahren und das Knarren im Gebälk der heutigen Filmbranche unter der Last von Regelungen und Vorgaben.

Ihre Kritik in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) an Bundesrätin Baum-Schneider und ihren Plänen für die neue Filmförderung hat ziemlich viel Wellen geworfen. Wie waren die Reaktionen auf Ihren Gastkommentar?
Samir
: «In den sozialen Medien ging es voll ab. Alleine auf Linkedin haben inzwischen über 4000 Leute den Artikel gelesen. Ich erhielt von Dutzenden von Kollegen und Kolleginnen per Mail und SMS volle Zustimmung zu meinen Überlegungen und in den Fachverbänden löste es grosse Diskussionen aus.»

Gab es auch negative Reaktionen?
Samir: «Es gab nur von zwei Verbandsspitzen negative Anmerkungen. Motto: der falsche Moment und politisch ganz gefährlich. Aber sie gingen nicht auf den Inhalt ein. Die übliche Reaktion von Leuten, die entweder von den Verhältnissen profitieren wollen oder nicht wagen zu ihrer Einstellung zu stehen.»

Sie schreiben in dem Kommentar, dass die Förderpolitik von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider dem Schweizer Film schadet.
Samir: «Leider ist Bundesrätin Baume-Schneider eine sehr schwache Politikerin. Trotz Einnahmeüberschüssen im Bund hatte bekanntlich Bundesrätin Karin Keller-Sutter das grosse Sparprogramm angesagt. Doch im Gegensatz zu den anderen Departements ist Bundesrätin Baume-Schneider gleich eingeknickt. Der Filmbranche gegenüber hat sie die realen Kürzungen als Verteidigung unserer Interessen verkauft.»

Warum jammern Sie? Der Kredit wurde ja nicht gekürzt?
Samir: «Das stimmt, aber die selektive Filmförderung stagniert seit 15 Jahren auf 16 Millionen. Trotz 5 Prozent Teuerung in dieser Zeit und der Erhöhung der Filmbudgets aufgrund zusätzlicher Auflagen um 10 bis 20 Prozent. Das ist eine reale Kürzung! Daneben ist es ja schon erstaunlich, dass Bundesrat Albert Rösti - trotz angeblicher Sparpolitik - es geschafft hat, die Medienförderung von 30 auf 70 Millionen Franken zu erhöhen. Von den Bauern will ich gar nicht reden.»

Aber ihr habt ja mit 27 Millionen Franken einen ansehnlichen Bundeskredit für die Herstellung von Filmen? 
Samir: «Ich muss wohl immer wieder daran erinnern, dass alleine die Oper in Zürich 80 Millionen Subventionen erhält. Dazu kommen noch Subventionen für das Schauspielhaus, die Tonhalle et cetera. Wir machen mit unseren Filmen im Kino das Vierfache all der Zuschauerinnen in den genannten Kulturbetrieben! Aber ich will die verschiedenen Kultursparten nicht gegeneinander ausspielen.»

Also noch einmal, immerhin 27 Millionen!
Samir: «Auch hier muss ich korrigieren. Von diesen 27 Millionen Franken sind nur 16 Millionen selektive Filmförderung, das heisst direkte finanzielle Unterstützung von kulturell anspruchsvollen Filmen. Einfach zur Relation noch folgende Zahlen: Gleich grosse Länder wie die Schweiz - Österreich und Dänemark - subventionieren ihre Filmbranche mit je 70 Millionen Franken. Doch zurück zu unseren Zahlen: die Diskrepanz zwischen 16 und 27 Millionen setzt sich zusammen aus Erfolgsprämien, welche wieder in neue Filme investiert werden müssen und vor allem für die Standortförderung FISS.»

Was hat es damit auf sich?
Samir: «Die Standortförderung wurde eingeführt, um ausländische Filmproduktionen dazu zu bringen, die Dreharbeiten und die Postproduktion in der Schweiz durchzuführen. Doch nun soll diese zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit für die reinen Schweizer Filme abgeschafft werden und nur noch für Ko-Produktionen mit dem Ausland gelten.»

Ist doch gut mit dem Ausland zu koproduzieren?
Samir: «Sicher, aber nicht indem man den inländischen Filmen weniger Geld zuspricht. Abgesehen davon, dass wir gar nicht mehr mit dem Ausland konkurrieren können. Zum Beispiel investiert Österreich pro Jahr 80 Millionen für Standortförderung. Damit haben sie erfolgreich amerikanische und deutsche Filme für Dreharbeiten in unser Nachbarland gelockt.»

Was ist der Kern ihrer Kritik an der aktuellen staatlichen Filmförderung?
Samir: «Ich hoffe, ich habe die Idee widerlegt, dass wir Filmschaffende unglaublich viele Subventionen abholen. Nun zum Kern: Das Gesamtbudget der Sektion Film ist 57 Millionen Franken. Davon gehen nur 27 Millionen in die Herstellung. Das ist unverhältnismässig. Denn über die Hälfte der Filmförderung geht in den administrativen Überbau.»

Wie kann das sein?
Samir: «Dazu muss ich etwas ausholen. Bis Anfang der 70er Jahre gehörte die Filmbranche in der öffentlichen Wahrnehmung in den Bereich der kommerziellen Unternehmungen. Erst in den 80er Jahren entstand das Bewusstsein, dass ähnlich wie Oper und Theater, ein Land seine eigene Filmkultur unterstützen sollte. Inzwischen weiss jeder HSG-Absolvent, dass in einem kleinen Land wie der Schweiz Filme nicht über Rückflüsse an der Kinokasse finanziert werden können. Dafür ist der Markt schlichtweg zu klein und zu divers mit seinen drei grossen Sprachblöcken. Aufgrund dieser Fakten wurde auf politischer Ebene die Subventionierung der Filmkultur vorangetrieben.»

Wer waren die Treiber hinter dieser Entwicklung?
Samir: «Dies ist vor allem dem Regie-Verband und der Gewerkschaft der Filmtechnikerinnen zu verdanken, später auch vom Produzentenverband. Ab Mitte der 90er Jahre wurde dank dem neuen BAK-Chef und Rechtsanwalt Marc Wehrlin und der massiven politischen Unterstützung durch Bundesrätin Ruth Dreifuss innert fünf Jahren ein professionelles und Europa-kompatibles Fördersystem eingerichtet...

...und wie ging die Geschichte weiter?
Samir: «Dann kam Bundesrat Pascal Couchepin. Dieser mobbte David Streiff als BAK-Chef weg und installierte seinen Turbo Nicolas Bideau in der Sektion Film. Bideau baute die Kontrolle aus und wollte auch bestimmen, welche Art von Filmen gemacht werden soll. Nachdem er in Entscheidungen der Kommissionen eingegriffen hatte, war die Branche im Aufruhr und wehrte sich und Bideau musste gehen. Doch den Apparat, den er aufgebaut hatte, konnte man nicht einfach wieder abschaffen.»

Wie reagierten die betroffenen Filmemacher auf diese Entwicklung?
Samir: «Die Filmbranche einigte sich darauf, dass für die Zukunft ein unabhängiges Filminstitut für die Filmförderung zuständig sein sollte, um die Filmproduktion von der Politik zu lösen. Ähnlich wie das CNC in Frankreich. Nach dem Abgang von Pascal Couchpin kamen wir dem Ziel eines unabhängigen Filminstitut näher. Unter anderem, weil für den freisinnigen Bundesrat Didier Burkhalter die Eigenverantwortung der Filmbranche einsichtig war. Doch leider ging er zu früh, und mit dem Sozialisten Alain Berset wurde die staatliche Kontrolle der Kultur wieder verstärkt…»

Das ist jetzt aber eine lange Geschichtsstunde...
Samir: «Ok. Aber nur so ist verständlich, weshalb die Administration immer grösser wurde. Es wurden immer mehr neue Filmförderbereiche geschaffen und auch der Anschluss an Europa kostete immer mehr. Logischerweise wurde die Kontrolle der Einreichungen immer stärker und auch die Ablieferung der Abrechnungen wurde immer mehr verstärkt. Dafür mussten immer mehr Leute angestellt werden. So erklärt sich, weshalb die reine Filmförderung nicht mal mehr die Hälfte des BAK-Budget ausmacht.»

Warum hat sich die Filmbranche in Abhängigkeit der staatlichen Förderung begeben und nicht nach anderen Geldquellen für eure Filme gesucht?
Samir: «Sicher, wir leben im reichsten Land der Welt. Und die Reichen geben ungeheuer viel Geld für Kunst aus. Die Schweiz ist der drittgrösste Markt für Kunst. Doch Film hat für diese Menschen immer noch etwas Populistisches, weil Filme erst an der Schnittstelle zwischen Kultur und Kommerz gesehen werden: im Kino, in TV-Sender, in Streameningdienste, sogar auf dem Handy. Da kann man sich als reicher, gebildeter Menschen nicht repräsentieren, wie in einer Galerie oder Museum. Und einen Film kannst du schon gar nicht an deine Wand hängen als Wertanlage…»

Wie steht es in Ihrer Erfahrung um private Geldgeber in der Schweiz?
Samir: «In meinen 40 Jahren als Produzent und nach hundert Filmen kann ich an einer Hand Leute als Mäzene zählen. Und noch nie wurde ein Film vollständig durch Sponsoren oder Mäzene finanziert. Und zum Schluss, wir haben mit den TV-Sendern und nun auch mit den Streamern Abkommen geschaffen, damit unsere Filme auch von diesen Möglichkeiten profitieren können. Aber es versteht sich von selbst, dass diese Financiers ihren Stil und ihre Vorstellungen durchsetzen und nicht künstlerisch anspruchsvolle Filme finanzieren wollen.»