Obwohl der Bund an allen Ecken und Enden sparen will, schafft die staatliche Filmförderung ständig neue administrative Stellen, zum Bespiel fürs Marketing in der Schweiz.
Nachdem der Klein Report mit dem Filmproduzenten Samir ausführlich über die Bürokratisierung der Filmförderung in den letzten Jahren gesprochen hat, geht es im zweiten Teil des Gesprächs um den Blick in die Zukunft und jene kritischen Stellen, wo sich die Filmförderung aus Sicht des Zürcher Regisseurs dringend verändern muss.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht konkret ändern an der Filmförderpolitik des Bundes?
Samir: «Mittelfristig muss die Idee eines unabhängigen Filminstituts wieder belebt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass unabhängige und kulturell anspruchsvolle Filme entstehen können und unser Land international wieder mehr bemerkt wird.»
Was muss sich sonst noch ändern?
Samir: «Daneben brauchen wir eine massive Wirtschaftsförderung wie in Österreich. Mit der Investitionspflicht der Streaming-Plattformen sind wir auf gutem Wege. Aber Österreich hat gezeigt, dass mit der Standortförderung die vierfache Menge der Subvention wieder im Land umgesetzt wird. Davon profitieren in unserem Nachbarland Tourismus, Hotellerie, Handwerk, Transport und Gastronomie.»
Was brauchen die Filmemacher und Filmemacherinnen auf kurze Sicht?
Samir: «Kurzfristig muss sofort und massiv die Subvention der selektiven Förderung, also der anspruchsvollen Filme, angehoben werden. Das kann sofort gemacht werden innerhalb des Bundesamts für Kultur (BAK) durch Umschichtung von Budgets aus dem administrativen Bereich in die Herstellung...»
...wie kann das konkret aussehen?
Samir: «Die Projekt-Beurteilung muss massiv in ihren bürokratischen Anforderungen gekürzt werden. Von der Entwicklung, Finanzierung, Produktion und Distribution verändert sich ein Projekt zum Teil radikal. Es macht keinen Sinn, in der ersten Eingabe hundertseitige Dossiers einzureichen. Logischerweise braucht es dafür immer mehr Leute im Amt, und noch mehr Gelder gehen in die Administration anstatt in die Kreation der Filme. Und bei der nächsten Budgetdiskussion im Bundesrat kann dies auch mittels einer allgemeinen Erhöhung des Filmkredits geschehen. Die Branche hat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider signalisiert, dass wir sie in dieser Angelegenheit unterstützen würden. Nun muss sie sich mal überwinden, uns essentiell unterstützen.»
Das sollte doch kein Problem sein, da die Schweizer Filmemacher und -macherinnen mit vielen Protagonisten eng verbandelt sind im Bundesamt für Kultur...
Samir: «Tatsächlich war die Hoffnung der Branche, als vor zwei Jahren die Spitze im BAK und in der Sektion Film neu besetzt wurde, dass nun zusammen mit einer neuen Bundesrätin ein frischer Wind wehen würde. Es ist korrekt, die Beziehung der Branche zum BAK und zu Bundesrat Alain Berset waren in den letzten Jahren immer enger geworden...»
...und dann?
Samir: «Die erste Irritation war der Ausschluss der Filmverbände von der Neubeurteilung der Filmförderung für die nächsten vier Jahre. Die Studie wurde einer fachfremden und ausländischen Marketing-Firma in Berlin übergeben. Es war offensichtlich, dass die Diversität unseres Landes dadurch keinen Eingang fand in dem sehr oberflächlichen Bericht, der für teures Geld erkauft wurde. Als die Branche vorschlug, parallel eine eigene Analyse zu machen, wurde dies vom BAK abgelehnt. Es wurde immer mehr klar, dass die neue Führung im BAK kein Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit hat. Um dies zu verschleiern, wurden überall ’Sounding-Boards’ geschaffen, deren Mitglieder wiederum von der Administration bestimmt wurden… Die Entscheidungen wurden aber alleine in der Administration gefällt.»
Wie waren die Abläufe denn davor?
Samir: «Das aktuelle Vorgehen ist weit entfernt von den Prozessen, die in den letzten 20 Jahren geschaffen wurden, um die Filmbranche und die Bestimmungen der Administration besser abzustimmen. Unter Marc Wehrlin wurden grosse Assisen einberufen. An diesen Versammlungen nahmen Filmschaffende aus allen Bereichen und aus allen Generationen teil. Regie, Technik, Produktion und Verleih diskutierten gemeinsam mit der Sektion Film die Ausarbeitung der Filmförderungs-Reglemente. Das war vorbildlich.»
Baume-Schneiders Rede am diesjährigen Filmfestival von Locarno lief unter dem Titel «Kulturwirtschaft an der Schnittstelle von Kreativität, Markt und Politik». Hat die Politik übernommen?
Samir: «Nein, nicht die Politik, sondern die Bürokratie.»
Stichwort Bürokratie: Trotz Sparmassnahmen schafft also die staatliche Filmförderung ständig neue Stellen. Wie macht sich das für Sie als Produzent bemerkbar?
Samir: «Ganz konkret, indem Gelder für den Marketing-Bereich zu Verfügung gestellt werden. Für die neu geschaffene Inlandförderung der Stiftung Swissfilms wurde ein Zusatzbudget von fast 700’000 Franken geschaffen. Gegen den Willen der Filmemacher wurden neue Stellen etabliert und diese mit Leuten besetzt, welche nicht aus der Branche kommen. Absurd. Denn wir haben in der Schweiz ausgezeichnete und erfahrene Verleihfirmen, die genau wissen, wie sie unsere Filme in die Kinos bringen müssen. Dazu braucht es auch ein langjähriges Wissen um die vielfältige Kinolandschaft in der Schweiz, mit ihren drei Sprachräumen. Denn unsere Filme kommen mithilfe eines engmaschigen Netzes von kleinen Kino-Besitzern auf dem Lande und in den Kino-Klubs in den Dörfern und den Art-House-Kinos in den Städten unter die Leute. Und dieser Erfahrungsschatz wird einfach weggemacht, und die finanzielle Unterstützung massiv gekürzt.»
Wie schaut es bei der Förderung von Schweizer Filmproduktionen im Ausland aus?
Samir: «Die Gelder für die Auslandförderung werden gestrichen. Konkret wurde letzte Woche ohne Ankündigung einfach bestimmt, dass nun für den Rest des Jahres kein Geld mehr da ist für die Auswertung im Ausland. Ich weiss von acht Filmen, deren Auslandverleih abgebrochen werden muss. Unsere Firma musste gleich drei Verleihern in Deutschland, Spanien und Portugal absagen. Ob diese dann noch im nächsten Jahr unsere Filme ins Kino bringen, sei dahingestellt.»
Was sind Ihre ganz persönlichen Wünsche an die Filmförderung der Schweizer Politik?
Samir: «In der Schweiz entstand in den letzten 20 Jahren durch die grosse Anzahl von Filmschulen eine neue Generation von innovativen Filmschaffenden. Viele haben sich in der Werbung etabliert und machen unzählige Online-Filme für Privatfirmen. Neben den etablierten Filmemachern, sollte mithilfe einer Erhöhung der Kredite auch dieser Nachwuchs gefördert werden. Und dabei sollten wir uns an die Erfahrung der amerikanischen Filmindustrie orientieren: Aus 1000 Ideen entstehen 100 gute Drehbücher, daraus entstehen 10 Filme und davon wird 1 Film zum Hit. Und nach diesem Prinzip sollte auch die Förderung gestaltet werden. Erfolg kann nicht geplant werden. Schon gar nicht von einer staatlichen Kulturförderung.»