Ein seltsames Licht auf die Praktiken in der deutschen Mediaagentur Aegis haben verschiedene Aussagen am jüngsten Prozesstag vor dem Landgericht Wiesbaden geworfen. Im sogenannten Ruzicka-Prozess geht es um Unregelmässigkeiten bei den Geldflüssen aus kapitalisierten Naturalrabatten im Ausmass von mehr als 50 Millionen Euro. Brisante Enthüllung am Montag: Der für Zentraleuropa und Afrika zuständige Aegis-Media-CEO Andreas Bölte hatte bereits von den Vorwürfen und Ermittlungen gegen seinen Vorgänger Aleksander Ruzicka gewusst, als dieser noch sein Vorgesetzter war und Ruzicka mit ihm täglich eng zusammengearbeitet hat.
Im März 2006 hatte Bölte, damals noch als Aegis-Finanzchef, an einem geheimen Treffen mit seinem Vorgänger Hans-Henning Ihlefeld, Firmenanwalt Johann-Christoph Gaedertz, einem Staatsanwalt und einer Kriminalpolizistin teilgenommen. Das Treffen war so konspirativ, dass es in keinen Ermittlungsakten protokolliert wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits neun Monate seit der ersten Anzeige gegen Ruzicka verstrichen. Wie die leitende Ermittlerin der Kriminalpolizei am Montag vor dem Landgericht Wiesbaden aussagte, folgte dem Treffen eine zweite Anzeige gegen Ruzicka. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft wurde auch diese als anonym geführt. Die Ermittlungen sind Grundlage des seit Januar 2008 laufenden Prozesses und führten im September 2006 zu diversen Verhaftungen sowie 14 Hausdurchsuchungen. Damals zeigte sich Andreas Bölte völlig überrascht, er habe «erst letzte Woche Kenntnis von den Ermittlungen» bekommen.
Obschon also die Aegis-Spitze schon seit längerem über die vermeintlich krummen Touren von Ruzicka im Bild war, unternahm sie gemäss den am Montag bekannt gewordenen Details nichts, um die illegalen Geldströme zu stoppen oder bis zur Klärung der Vorwürfe auszusetzen. Etwa 30 Millionen Euro sollen zwischen der ersten Anzeige im Juli 2005 und dem Tag der Hausdurchsuchungen am 12.September 2006, gestützt auf Scheinrechnungen - gemäss Anklage «ohne ersichtlichen Rechtsgrund» -, an Ruzickas Firmen geflossen sein, jeweils unter den Augen von Andreas Bölte.
Andreas Bölte war für eine Stellungnahme erneut nicht erreichbar. Wie aus Unternehmenskreisen verlautet, macht er sich nicht nur gegenüber Journalisten rar. Auch gegenüber Mitarbeitern und der Konzernleitung soll Andreas Bölte wenig auskunftsfreudig sein. Dem Vernehmen nach soll er auch am jüngsten Aegis Global Annual Meeting in Peking nicht teilgenommen haben - trotz der von ihm verantworteten und für Aegis Media wichtigen Region Zentraleuropa. - Siehe auch: Ruzicka-Prozess: Umgang mit Freispots im Fadenkreuz und Fall Ruzicka: Hintergründe zum Media-Skandal
Dienstag
03.06.2008