«Unsere Staatsmacht heutzutage - das ist einfach die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Mehr nicht. Alles Übrige interessiert sie nicht.» Zu diesem Schluss kommt die im Oktober 2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja in ihrem «Russischen Tagebuch». Ihre Aufzeichnungen, gleichsam eine Chronik der Gleichschaltung politischer Institutionen durch den Kreml, beginnen im Dezember 2003 mit Präsident Wladimir Putins Kampagne zur Wiederwahl. Bis zum September 2005 berichtet Politkowskaja über die zunehmende Durchsetzung von Staat und Gesellschaft mit Geheimdienstlern und Militärs, die in Politik und Wirtschaft den Ton angeben. Es sind die Personen, denen der ehemalige KGB-Offizier Putin vertraut.
Alle drei Bereiche der Macht - die Exekutive, die Legislative und die Judikative - seien der Kontrolle des Präsidenten unterworfen, zitiert sie Jelena Bonner, die in den USA lebende Witwe des Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow. Die Regierung schafft sich ausserdem eine regierungstreue Menschenrechtsbewegung. Bereits die Parlamentswahlen im Dezember 2003 werden manipuliert. Politkowskaja nennt konkrete Fälle. Ausserdem werden in der Provinz Kandidaten «von Unbekannten verprügelt», bis sämtliche Bewerber, die gegen Putins Partei antreten wollten, freiwillig das Feld räumen.
Zahlreiche Abgeordnete anderer Parteien laufen schliesslich zu Putins Einiges Russland über. Kritische Medien werden zum Schweigen gebracht. Putin selbst spricht von «gelenkter» Demokratie, schafft die Direktwahl der regionalen Gouverneure ab, die er künftig selbst ernennen will. Als Grund nennt er die Terrorgefahr. «Eine so zynische Ausnutzung der grauenvollen Ereignisse von Beslan war selbst von dem skrupellosen Putin nicht zu erwarten gewesen. Doch das Volk schluckte das», stellt Politkowskaja fest. Sie schildert ein Klima der Resignation, Angst und Rechtlosigkeit. Die Demokraten vermieden den Kontakt mit der Bevölkerung und der Westen glaube «inbrünstig» an die gefälschten Wahlresultate.
Politkowskaja stützte sich auf umfangreiche Recherchen. Sie sprach mit Soldatenmüttern, Angehörigen der Opfer des Moskauer Theaters und von Beslan, aber auch mit Ramsan Kadyrow, dem «starken Mann» Tschetscheniens, der es liebe, Menschen wie Kampfhunde aufeinander zu hetzen. Im April 2007 wurde der Kreml-treue Milizenführer Präsident Tschetscheniens. - Anna Politkowskaja, «Russisches Tagebuch», Dumont Verlag, Köln 2007, Fr. 43.70. - Siehe auch: Bürgerrechtler gedenken Anna Politkowskaja, Unesco-Preis für ermordete Anna Politkowskaja und Petition im Mordfall Anna Politkowskaja eingereicht
Montag
06.08.2007