Im Irak hat sich eine neue Sendung des staatlichen Fernsehens zum Strassenfeger entwickelt. «Der Terrorismus im Griff der Justiz» des Senders Al-Irakija ist eine Mischung aus Dokumentarfilm und gruseligem Reality-TV. Gezeigt werden Untersuchungshäftlinge, die auf Geheiss der Polizei vor laufender Kamera beschreiben, wie sie Polizisten erschossen und Zivilisten in die Luft gesprengt haben. Zudem sieht man Gegenüberstellungen von mutmasslichen Mördern und Angehörigen der Opfer.
In anderen Ländern wären die Zuschauer möglicherweise verstört durch die grausamen Bilder. In Bagdad, wo jeden Tag mindestens ein Sprengsatz detoniert, nimmt niemand Anstoss daran - im Gegenteil. Die Islamische Partei, die grösste sunnitische Partei des Iraks, bezichtigte die Macher der Programms jüngst aber der «Fälschung». Der Grund: Ein angeblicher Extremist sagte in der Sendung, er sei Mitglied der Islamischen Partei, er bete nicht, trinke Alkohol und sei an Terroroperationen beteiligt gewesen. «Wir kennen diesen Menschen nicht», heisst es dazu in der Parteizentrale. Der ehemalige Offizier Abu Mohammed al-Chatib hat in der Sendung dagegen einen authentischen Fall aus seiner Nachbarschaft wiedergefunden. «Das Programm ist eine gute Form der Abschreckung für die Terroristen», meint er.
Viel Aufsehen erregte eine Mutter, die in der Sendung den mutmasslichen Mörder ihres Sohnes anschrie: «Du hast mein Herz verbrannt.» Einen Tag später wurde ein trauriger kleiner Jung gezeigt, der den Mann identifizieren muss, der seinen Vater erschossen hatte. Die Täter kommen ausführlich zu Wort, wobei nicht ganz klar ist, ob physischer Druck ausgeübt wurde. «Ob sie gefoltert wurden oder nicht, das wissen wir nicht», sagt der Nachrichtenchef von Al-Irakija, Karim Hamadi. «Normalerweise ruft ein Polizeichef einen unserer Korrespondenten an und bietet ihm an, bei einer Befragung zu drehen.» Ziel der Sendung sei es, den Irakern zu zeigen, dass die Terroristen nicht unverwundbar seien.
Für Al-Chatib ist die Sendereihe auch eine Reaktion auf die Geiselenthauptungs-Videos, die Extremisten-Gruppen an Fernsehsender schicken oder im Internet veröffentlichen. Dass die Menschen durch die Sendung vielleicht noch weiter abstumpfen oder verrohen könnten, glaubt er nicht. Hamadi, der Programmverantwortliche, meint: «Was wir Iraker auf der Strasse sehen, ist der Gipfel der Gewalt, schlimmer geht es gar nicht.»
Montag
07.03.2005