Die 35. Rauriser Literaturtage sind am Samstagabend bei Salzburg mit einer fulminanten Lesung zu Ende gegangen. Ein Teilnehmer war neben Herta Müller und dem Grandseigneur der slawisch-österreichischen Kulturtradition, Milo Dor, auch der Schweizer Urs Widmer. «Worte und Orte» war das Motto 2005. Wie so oft taugte auch dieses Motto nur als Richtschnur, zur vagen Anleitung, an die sich die Autoren bei der Auswahl ihrer Texte anlehnen konnten, der sie sich wörtlich aber nicht verpflichtet fühlen mussten.
Das galt für Dietlind Antretter, die Salzburger Romandebütantin und den Badner Peter Steiner am vergangenen Donnerstag und Franzobel, Friedrich Zauner und den schreibenden Schweizer Senn Leo Tuor am Freitag. Auch Widmer, Müller und Dor nutzten die Idee des Ortes als abstrakte Fahrkarte zu den Gustostückerln ihrer Erzählungen.
Widmers «Das Buch des Vaters» (Diogenes-Verlag, 2004) ist nicht nur einem Buch, sondern vor allem den verschämten und nicht minder leidenschaftlichen Liebesbeziehungen seines Vaters gewidmet. Die mit Witz, Respekt und einem Hauch von sexistischer Sehnsucht getränkten Zeilen machten lachen, schmunzeln und ein bisschen verliebt in eine Vaterfigur, der Widmer ein verträumtes und fiktives Denkmal setzte.
Ohne Bitterkeit, ohne platte Anklage oder geschweige denn
Rachegelüste, aber mit Wut im Bauch und konsequentem Gefühl für Gerechtigkeit - so präsentierte sich Herta Müller, die deutschsprachige Exil-Rumänin. «Der König verneigt sich und tötet» (Hanser-Verlag, 2003) ist eine Abrechnung mit der kalten Repression der Securitate in krassen Sprachbildern und kurzen, entrümpelten Sätzen. «Die Sprache ist kein Platz, wo man es sich gemütlich machen kann», las die Dichterin, und nur die zärtlich verklärte Wut hielt die Erinnerung an die eigene Gefängnishaft, Verzweiflung und Angst in Schach.
Und dann Milo Dor. Bei diesem Glückspilz ist Alter zu Weisheit geworden, die ihm erlaubt, über Moral zu reden. Dieser serbische Wiener erklärte seiner Stadt, seiner Schreibmaschine und der alten Zeit die Liebe, und niemand sonst kann das mit derart sympathischer Warmherzigkeit.
Sonntag
03.04.2005