Im Dezember 2010 berichteten «Tages-Anzeiger Online» und «Blick Online» über einen Strafprozess vor dem Geschworenengericht Zürich. Der Prozess behandelte den tragischen Fall der kleinen X., die am 10. Mai 2006 «nach jahrelangen Qualen» gestorben war. Ihre Eltern, ein 44-jähriger Brite und eine 62-jährige Sozialpädagogin aus der Schweiz, standen vor Gericht. Im Rahmen des Prozesses wurde auch eine Videoaussage der Halbschwester Y. der totgeschüttelten X. zur Entscheidungsfindung verwendet, was die beiden Onlinemedien dazu verleitete, den Vornamen der Halbschwester zu nennen und - im Falle von «Blick Online»- ein Bild des Geschwisterpaars zu veröffentlichen.
Daraufhin gelangte am 8. Dezember 2010 der Verein Espoir mit einer Beschwerde gegen die Berichte an den Presserat. Die Berichte hätten Y. ohne Not identifizierbar gemacht und damit die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Identifizierung; Kinder) verletzt. Durch die Nennung des seltenen Vornamens Y. sowie die gleichzeitige Beschreibung von Lebensumständen (Pflegefamilie) und des heutigen Alters des Mädchens sei Y. ohne Weiteres erkennbar. Zudem hätten die zweimalige Publikation des Fotos der beiden Mädchen durch «Blick Online» die Privatsphäre von Y. verletzt.
Der Presserat hat die Beschwerde gegen die beiden Onlineportale abgewiesen, wie er am Dienstag bekannt gab. Beim Bericht von «Tages-Anzeiger Online» ist es nach Auffassung des Presserates unwahrscheinlich, dass Y. in ihrem neuen Umfeld allein aufgrund der Angabe von Vornamen, heutigem Alter und dem Umstand erkennbar ist, dass sie bei einer Pflegefamilie lebt. Zumal der beschwerdeführende Verein die Gefahr einer Identifizierung im heutigen Alltagsumfeld lediglich abstrakt geltend mache, ohne dazu konkrete Anhaltspunkte ins Feld zu führen. Sei die konkrete Gefahr einer Identifizierung von Y. über den Kreis der ohnehin Eingeweihten hinaus zu verneinen, sei auch dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern im Sinne der Richtlinie 7.3 zur «Erklärung» Genüge getan. Insgesamt ist deshalb eine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» zu verneinen.
Ebenso gelte dies für die beiden Berichte von «Blick Online» vom 1. und 3. Dezember 2010. Diese enthielten, abgesehen von den beiden Vornamen, keine weiteren für eine Identifizierung hilfreiche Anhaltspunkte. Eine Identifizierung von Y. erscheine zudem auch mithilfe des einige Jahre zurückliegenden Bildes schon deshalb ausgeschlossen, weil ihr Gesicht darauf unkenntlich gemacht worden sei.