Der «Blick am Abend» hat mit dem Bild von einem Arbeitsunfall mit zehn teilweise erkennbaren Todesopfern die Menschenwürde der Verstorbenen verletzt. Der Presserat hiess am Dienstag die Beschwerde einer Privatperson gut. Im Januar 2011 veröffentlichte der «Blick am Abend» in der Rubrik «Bilder des Tages» das Foto eines Unfalls in der philippinischen Hauptstadt Manila, bei dem zehn Bauarbeiter ihr Leben verloren hatten, weil ein Lift kollabiert war. Auf dem fast seitenhohen Bild des Tabloids waren mehrere Tote mit teils verrenkten Gliedmassen, vereinzelt Blut und - eher undeutlich - einige Gesichter der Opfer zu erkennen. Ein Leser beschwerte sich beim Presserat, das Bild verletze die Menschenwürde der Opfer.
Die anwaltlich vertretene Redaktion des «Blick am Abend» beantragte beim Presserat, die Beschwerde als unbegründet abzulehnen, räumte aber ein, dass das Bild grenzwertig sei. Zwar seien etwa drei Gesichter dergestalt abgebildet, dass Angehörige die Toten identifizieren könnten, jedoch werde die Abendzeitung nur in der Deutschschweiz verbreitet und gelesen und es sei nicht davon auszugehen, dass Eltern, Ehegatten oder Kinder der Verunglückten in der Schweiz lebten und das Bild sehen würden. Die Redaktion bestritt, dass die Menschenwürde der Opfer nur schon dadurch verletzt sei, dass sie als Unfallopfer erkennbar seien. «Dazu müsste ihnen die Qualität als Mensch abgesprochen sein. Davon ist hier keine Rede. Der Betrachter erkennt, dass die Arbeiter gestürzt, aufgeprallt und teils von einem Netz aufgefangen worden seien», argumentierten die «Blick am Abend»-Redaktoren. Dem Leser würden die Verunglückten als Opfer ihrer Pflichterfüllung, vielleicht als Opfer mangelnder Sicherheitsvorkehrungen, jedenfalls nicht als zu verachtende Menschen erscheinen.
Die Menschenwürde sei auch nicht dadurch verletzt, dass das Foto auf der Doppelseite «Bilder des Tages» erschien. Die Redaktion habe entschieden, das Bild zu zeigen, «weil es eben nicht geschönt ist, weil es menschliches Leid nicht ästhetisiert, verharmlost». Weiter wurde argumentiert: «Das Bild ist so brutal und drastisch, wie der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen einen drastischen Einschnitt bedeutet», so der «Blick am Abend» zu seiner Verteidigung. Das Bild habe die Leser in dieser Hinsicht zum Denken anregen wollen. Das Konzept der beliebten Bilderseite sei gerade, täglich ein Panoptikum des Lebens rund um die Welt zu zeigen, mit Freud und Leid nebeneinander. Keinesfalls gehe es dem «Blick am Abend» darum, «seine Leser zu schockieren oder zu ermöglichen, dass sie sich am Leid Dritter ergötzten; sonst wäre die Abendzeitung nicht so erfolgreich», schwurbelt der Ringier-Verlag seine verquere Logik runter.
Der Presserat gelangt zum gegenteiligen Schluss. Das Bild habe über die Tatsache hinaus, dass bei einem Unfall in Manila zehn Arbeiter ihr Leben verloren haben, für den Leser keinerlei Informationswert. Werde ein Foto von Leichen einzig wegen des ausdrucksstarken Arrangements der toten Körper ausgewählt und ohne Erklärung der näheren Umstände des Unfalls abgedruckt, so missbrauche die Redaktion diese unbekannten Unfallopfer als überraschenden, puren Schockreiz und verletze damit deren Menschenwürde.