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Donnerstag
27.10.2011

Die «Weltwoche» hat mit zwei Berichten über Ausschreitungen im Anschluss an die Annahme der Ausschafftungsinitiative die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt. Die Beschwerden bezüglich Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (in Bezug auf die Entstellung von Informationen) seien hingegen nicht verletzt worden, meint der Schweizer Presserat.

Unter dem Titel «Sturmabteilung von links» veröffentlichte die «Weltwoche» in der Ausgabe vom 2. Dezember 2010 einen Artikel von Andreas Kunz über Ausschreitungen in mehreren Schweizer Städten kurz nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative. Nach der Auflistung verschiedener Vandalenakte hiess es im Artikel, der harte Kern der Demonstranten sei in Vereinen wie dem Revolutionären Aufbau Zürich oder der Menschenrechtsorganisation Augenauf organisiert. In der «Weltwoche» vom 27. Januar 2011 berichtete Andreas Kunz erneut über das Thema (Titel: «Von aufreizender Passivität»). Anlass des Artikels war ein gewalttätiger Angriff auf SVP-Nationalrat Hans Fehr am Rande der Albisgüetli-Tagung 2011 der SVP.  Im Text hiess es wiederum sinngemäss, der harte Kern der gewaltbereiten Linken sei in Vereinen wie dem Revolutionären Aufbau Zürich oder der Menschenrechtsorganisation Augenauf organisiert.

Daraufhin gelangten die Gruppe Augenauf Zürich, der Menschenrechtsverein Augenauf Bern sowie Augenauf Basel (nachfolgend: Augenauf) gemeinsam mit einer Beschwerde gegen die «Weltwoche» an den Presserat. Die beiden Berichte von Andreas Kunz verletzten die Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (Entstellung von Informationen, respektive Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Der Vorwurf, Augenauf gehöre zum harten Kern von Personen, die mit Gewalt auf ein demokratisches Abstimmungsresultat reagierten, wiege schwer, meinte Augenauf. Eine Anhörung von Augenauf vor der Publikation wäre deshalb unabdingbar gewesen. Zudem werde im zweiten Artikel nicht klar, ob es sich beim Vorwurf, Mitglieder von Augenauf bildeten zusammen mit dem Revolutionären Aufbau Zürich den harten Kern der gewalttätigen linksextremen Demonstranten, um eine Schlussfolgerung des Journalisten oder um eine Einschätzung des Nachrichtendienstens NDB handle. Kein aktives oder ehemaliges Mitglied von Augenauf sei je wegen irgendwelchen strafbaren Handlungen verurteilt worden. Und ebeno wenig sei ein aktives Mitglied nach den von Kunz beschriebenen Ausschreitungen nach der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative und dem Angriff auf SVP-Nationalrat Fehr verhaftet worden.

Andreas Kunz meinte in seiner Stellungnahme  zur Beschwerde, für seine Artikel über den Linksradikalismus und die verschiedenen Anschläge von entsprechenden Gruppierungen habe er aufwendig recherchiert. Bei vielen Ereignissen sei er selber vor Ort gewesen, habe mit Polizisten und Demonstranten gesprochen sowie anderen der Szene nahestenden Personen. Mehrere Quellen - darunter auch ein Mitglied von Augenauf - hätten ihm bestätigt, dass Augenauf neben dem Revolutionären Aufbau Zürich die einzige Organisation sei, welche regelmässig Mitglieder an diesen Demonstrationen habe und intern - wenigstens informell - auch dazu aufrufe. Gestützt auf diese Informationen habe er die Gruppe Augenauf zu Recht als «harten Kern» der linksextremen Szene bezeichnet und weise deshalb den Vorwurf zurück, die Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» (Wahrheitssuche) verletzt zu haben.

Im zweiten Bericht folgten auf die Aussagen des NDB direkt die Erkenntnisse seiner persönlichen Recherchen. Die Aussagen des NDB seien in indirekter Rede wiedergegeben, seine eigenen Aussagen in direkter Rede. Insofern seien sie unterscheidbar. Tatsächlich könnte aber bei der Leserschaft der Eindruck entstehen, dass sämtliche Aussagen vom NDB stammten. «Dies war nicht beabsichtigt, sondern entstand durch eine kurzfristig notwendig gewordene Kürzung des Textes kurz vor Redaktionsschluss durch die Produktion.» Wenn in der Endfassung des Textes ein falscher Eindruck entstehen konnte, bedaure er das und entschuldige sich bei der Gruppe Augenauf für dieses produktionstechnische Versehen.

In Bezug auf die Anhörungspflicht macht Kunz geltend, in der Vergangenheit bereits mehrmals erfolglos versucht zu haben, mit dem Revolutionären Aufbau Zürich Kontakt aufzunehmen. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass sich auch bei der Gruppe Augenauf niemand zuständig fühlen werde. Er räumt aber ein, dass dies falsch war und er die Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung zwingend hätte kontaktieren und sie mit den schweren Vorwürfen hätte konfrontieren müssen.

In seinen Erwägungen kam der Presserat zum Schluss, dass der gegenüber der Gruppe Augenauf in den beiden Berichten vom 2. Dezember 2010 und 27. Januar 2011 erhobene Vorwurf, sie bilde zusammen mit dem Revolutionären Aufbau Zürich den «harten Kern» von gewalttätigen Linksextremen, schwer wiege. Wie auch der Autor der beanstandeten Berichte einräumt, wäre deshalb eine Anhörung der Gruppe vor der Publikation unabdingbar gewesen.

Ob der Vorwurf an sich wahr sei, könne der Presserat gestützt auf die ihm von den Parteien eingereichten Unterlagen nicht beurteilen. Die «Weltwoche» stützt ihren Vorwurf auf allgemein umschriebene Quellen (Polizisten, Demonstranten, Szenekenner sowie ein Mitglied von Augenauf). Die Beschwerdeführerin verweist zum Beweis des Gegenteils auf ihre Webseite sowie auf die Medienberichterstattung der letzten 20 Jahre über die Gruppe Augenauf. Weil damit letztlich Aussage gegen Aussage stehe, sei eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» nicht erstellt.

Für den Presserat liegt es zudem trotz der Kürzung näher, dass die Leserschaft die umstrittene Einschätzung dem Autor und nicht dem Bundesnachrichtendienst zuordnet. Denn im Gegensatz zu den vorhergehenden und nachfolgenden Ausführungen über Einschätzungen des NDB fehlen in der umstrittenen Passage durch Anführungszeichen gekennzeichnete Zitate. Die Interpretation der Einschätzung als solche des Autors passe zudem auch zum Gesamttenor des Berichts, wonach Behörden und Politik die «roten Verbrecher» verharmlosten. Auch wenn deshalb im Ergebnis eine Verletzung von Ziffer 3 in diesem Punkt knapp zu verneinen sei, wäre es laut Presserat aber besser gewesen, wenn die «Weltwoche» die Ausführungen über Erkenntnisse des NDB deutlicher von den eigenen Einschätzungen des Autors getrennt hätte.