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Mittwoch
20.04.2011

«20 Minuten» hat mit der Illustration des Artikels «Kind angeklebt - Mutter muss in Knast» mit Bildern, die ein misshandeltes Kind als wehrloses Objekt zeigen, die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» betreffend Menschenwürde und Opferschutz verletzt. Unter dem Titel «Kind angeklebt - Mutter muss in Knast» und der Spitzmarke «Schockbilder» veröffentlichte «20 Minuten» am 5. Oktober 2010 eine Meldung über die Misshandlung eines Kindes. Der Lead lautete: «Die 18-jährige Jayla Hamm und ihr 19-jähriger Freund Corde Honea aus dem US-Bundesstaat Nebraska fanden es lustig, ihren zweijährigen Sohn an die Wand zu kleben. Der Richter war anderer Meinung.»

Der Fall sei ans Licht gekommen, nachdem die Mutter die Bilder ihres Sohnes auf ihrer My-Space-Seite veröffentlicht und ein Freund darauf die Polizei eingeschaltet habe. Der Bericht erschien sowohl online als auch in der Printausgabe. Letztere war mit einem Bild des an die Wand geklebten Kindes illustriert. Online veröffentlichte «20 Minuten» drei weitere Fotos. Auf sämtlichen Bildern war das Gesicht des Kindes abgedeckt.

Am 7. Oktober 2010 beschwerte sich eine Privatperson beim Presserat, die Berichterstattung von «20 Minuten» verstosse gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Am 15. November 2010 wies die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion von «20 Minuten» die Beschwerde als unbegründet zurück. Im beanstandeten Bericht gehe es in erster Linie um die Verurteilung der Eltern wegen der Misshandlung ihres Kindes. Die Bilder sollten der Leserschaft ermöglichen, sich ein Bild von der Tat zu machen.

Der Presserat jedoch hält die Veröffentlichung für unverhältnismässig, wie er am Dienstag bekannt gab. Gerade durch die Art und Weise, wie die Eltern das Kind behandelten, fotografierten und im Internet ausstellten, hätten sie es zu einem wehrlosen Objekt degradiert. Die unverhältnismässige Reproduktion der Bilder durch «20 Minuten» perpetuiere diese Blossstellung des Opfers und dessen Reduktion auf ein wehrloses Objekt noch zusätzlich. Im konkreten Fall wirke die Veröffentlichung der Bilder zudem auch gerade deshalb unnötig sensationell, weil es nach Auffassung des Presserates kein Foto brauche, um sich die Tat vorzustellen. Folge man hingegen der Argumentation von «20 Minuten», die Veröffentlichung der Bilder habe lediglich dazu gedient, der Leserschaft zu ermöglichen, sich ein Bild von der Misshandlung zu machen, würde der Opferschutz dadurch zu wesentlichen Teilen seiner Substanz beraubt. Mit dem gleichen Argument könnte man es – ausser bei besonders abstossenden Schockbildern – generell rechtfertigen, Gerichtsberichte bei Gewaltverbrechen mit anonymisierten Tatbildern zu illustrieren.