Content:

Mittwoch
03.08.2022

Medien / Publizistik

«Viele kennen niemandem aus dem Journalismus persönlich, Millionen Menschen lesen aber Bücher. Da entsteht ein Kopfkino», sagt Medienprofessor Frank Überall.

«Viele kennen niemandem aus dem Journalismus persönlich, Millionen Menschen lesen aber Bücher. Da entsteht ein Kopfkino», sagt Medienprofessor Frank Überall.

Journalisten spielen in den gegenwärtigen Roman-Bestsellern eine wichtige Rolle. Mehrheitlich ist ihr Image negativ. 

Frank Überall, Medienprofessor und Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), hat in einer akribischen Studie die Journalisten-Fiktionen gegenwärtiger Bestseller-Romanciers unter die Lupe genommen.

«Ich lese nicht nur viel Fachliteratur, sondern gerne auch Belletristik», sagt Frank Überall, wenn man ihn danach fragt, wie er auf das Thema gekommen sei.

Er sei sowohl Medien- als auch Sozialwissenschaftler. Da habe es auf der Hand gelegen, «die beiden Welten zusammenzuführen und eine erste empirische Bestandesaufnahme zu machen, wie Journalismus im Roman dargestellt wird», sagt Überall, der an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln forscht, weiter gegenüber dem Klein Report.

Denn viele Menschen würden niemanden aus dem Journalisten-Metier persönlich kennen, Millionen Menschen läsen aber Romane. «Da entsteht ein ‚Kopfkino‘, das auch die öffentliche Debatte über Journalismus wesentlich mitprägt.»

Daher wollte es Überall mal etwas genauer wissen. Für seine Studie hat er 51 «Spiegel»-Bestseller der vergangenen drei Jahre auf Journalisten- und Reporterinnen-Figuren abgeklopft. Dabei kamen 1700 Belegstellen zusammen, die er mit Codes versehen und in Tabellen ausgewertet hat.

«Journalistische Medien werden trotz aller zuweilen erklingenden, gesellschaftlichen Unkenrufe nach wie vor als relevant gesehen»: So lautet vielleicht das wichtigste der Ergebnisse.

So kam Journalismus in fast allen Romanen vor, die Frank Überall in die Hand nahm: In einem Drittel der Passagen als eher beiläufiger Medienkonsum; in rund zwei Dritteln waren Journalismus, Journalisten oder ihre Produkte «treibende Elemente der Erzählung». 

«Im Detail ergeben sich in der literarischen Erzählung jedoch Unterschiede zur realen Welt: Während dort vor allem Fernsehen, Internet und Radio konsumiert werden, tauchen in den fiktionalen Erzählungen mit Abstand am häufigsten (Tages-)Zeitungen auf.» 

Selten dargestellt wird der Informationsfluss übers Web. «Immer wieder werden auch Zitate aus realen oder fiktiven Medien in die Erzählung eingebunden, um die Relevanz der Story zu erhöhen – ein Zeichen für die Glaubwürdigkeit, die professionellen Medien(-marken) im Wortsinn zugeschrieben wird», kommentiert Frank Überall den Befund.

Mehrheitlich ist das Bild, das die Romanciers vom Journalismus zeichnen, aber negativ. «Wohl auch aus dramaturgischen Gründen stehen unseriöse und sensationalistische Recherchemethoden besonders im Mittelpunkt.»

Dazu passt, dass «die Medien» häufig auch ganz vage im Plural auftauchen, wie man es vom landläufigen Medien-Bashing her kennt.

Und es spiegelt sich in den Beschimpfungen und Tiervergleichen, mit denen die Romanciers ihre fiktiven Journalisten gelegentlich eindecken. Da ist zum Beispiel bei Nele Neuhaus von «Aasgeiern» die Rede, Simon Beckett schreibt vom «Fliegenschwarm» und Diana Gabaldon vergleicht Medienschaffende mit «Kakerlaken». 

Nach Überalls Auszählungen gingen Tiernamen jedoch zugunsten von Schimpfwörtern zurück. Da ist von «sensationslüsternen Schreiberlingen» (T.C. Boyle), von «Pressepack» (nochmals Beckett) oder «Pressefritzen» (Herve Le Tellier) die Rede.

«Lügenpresse», der Kampfbegriff aus dem Umfeld der Pediga-Demos, taucht in den Romanen kaum auf. Eine Ausnahme ist Juli Zeh, die das Wort einer Figur in den Mund legt, vermutlich um sie politisch entsprechend zu verorten.

Und Michel Houellebecq fantasiert, wie mit allzu hartnäckigen Medienschaffenden umgesprungen werden sollte: Mit der «schlichten virilen Drohung eines zünftigen Kolbenhiebs gegen den Kopf» seien sie zu vertreiben. Zwar sei mit Protesten wegen Verletzung der Pressefreiheit zu rechnen, doch sei das halb so wild, habe man es bei den Journalisten schliesslich mit «Weicheiern» zu tun, steht in Houellebecqs Roman «Serotonin».

Gewalt gegen Journalisten oder deren angeblich geringschätzige Meinung von den Lesern kommen in den Romanen insgesamt aber selten vor.

Ebenso nur am Rand erscheint die Technisierung der Arbeit und die Prekarisierung des Berufsfeldes. Nahezu unsichtbar bleiben in den Romanen die Liebeleien auf den Redaktionen, wie sie im Medienjournalismus regelmässig – siehe zuletzt bei der «Bild» – ganze Zeitungsspalten füllten.

Man könnte gegen die akribische Roman-Analyse von Frank Überall natürlich ins Feld führen, dass sie sich nur mit Fiktion beschäftige, was noch nicht viel mit dem richtigen Leben zu tun zu haben braucht. Dass die tatsächlichen Einstellungen der Menschen gegenüber Medienschaffenden also nochmals ein eigenes Kapitel, eine eigene Studie wären.

Allerdings ist «Fiktion» in den allermeisten Fällen ja nicht identisch mit «frei erfunden». Wer einen Roman schreibt, lebt ja nicht hinter dem Mond. 

Und ausserdem – dieses Argument macht Überall besonders stark – werden Belletristik-Bestseller von Millionen von Menschen gelesen. Romane sind gewissermassen ein Medium eigener Art. Sie beeinflussen, wie die Leute die klassischen Medien sehen. Und wie sie sie nutzen.